Unmoralisch
Achseln. »Ich habe dir doch erzählt, wie das mit Maggie ist. Ich glaube, ich bedeute ihr immer noch sehr viel, sie will es bloß nicht zugeben. Wahrscheinlich ist sie einfach ein bisschen eifersüchtig. Aber das ist ihr Problem, nicht deines.«
»Sie glaubt, ich bin nicht die Richtige für dich.«
»Hat sie das gesagt?«
»Nein«, sagte Andrea. »Aber Frauen spüren so was.«
»Ich schlage vor, wir beschäftigen uns mit uns, und Maggie soll sich mit Maggie auseinander setzen. In Ordnung?«
Andrea nickte. Sie trank ihr Glas leer und goss dann den restlichen Wein aus der Flasche in ihre beiden Gläser, wobei ein paar Tropfen auf dem gläsernen Couchtisch landeten. Andrea wischte sie mit dem Finger weg und leckte sich die Fingerspitze ab.
Stride saß neben ihr auf dem Sofa im Wohnzimmer. Das Panoramafenster gegenüber gab den Blick auf die Stadt unter ihnen frei und auf den See, der in der Abenddämmerung langsam dunkler wurde. Stride trug ein kurzärmeliges, grünes Poloshirt und abgetragene Jeans. Andrea streckte die Hand aus und berührte die dicke Narbe an seinem Oberarm.
»Du hast mir nie von dieser Schussverletzung erzählt«, sagte sie.
»Das ist schon Jahre her.«
»Dann erzähl’s mir doch«, drängte Andrea.
»Es war ein Selbstmordversuch«, sagte er. »Ich bin halt ein lausiger Schütze.«
»Jon-a-than.« Verärgert zog Andrea jede einzelne Silbe in die Länge. »Gönnst du deinem schwarzen Humor denn nie eine Pause?«
Stride lächelte. »Na gut, es war ein Jagdunfall.«
»Ach?«
»Ja. Ich war auf der Jagd, und das Viech hat zurückgeschossen.«
»Du bist unmöglich. Komm schon, ich will das wirklich wissen. Erzähl’s mir, bitte.«
Stride seufzte. Er holte dieses Erlebnis nur ungern wieder an die Oberfläche, nachdem er Jahre damit zugebracht hatte, es gemeinsam mit Cindy und einem Therapeuten zu verarbeiten.
»Vor vielen Jahren bin ich in einen Ehestreit geraten. Wir hatten damals ein Ferienhäuschen westlich von Ely, und das Paar, das das Haus neben uns bewohnte … na ja, der Mann ist gewissermaßen ausgeflippt. Wir waren gut befreundet, standen uns nahe. Aber er war Vietnamveteran, ein bisschen instabil, und dann hat er seine Stelle und damit auch gleich den Verstand verloren. Eines Abends hat seine Frau mich angerufen und mir gesagt, dass er mit einer Pistole herumfuchtelt und droht, sie und die Kinder zu erschießen. Ich kannte ihn ja und wusste, dass er es ernst meint. Aber ich habe keine Verstärkung angefordert, weil ich befürchtete, dass dabei vielleicht viele Menschen sterben könnten, einschließlich ihm. Deshalb habe ich versucht, selbst mit ihm zu reden.«
»Was ist dann passiert?«
»Ich kam rein, und er hielt einen Revolver mit einem fünfzehn Zentimeter langen Lauf auf mich gerichtet. Die größte Pistole, die man sich vorstellen kann, direkt vor meiner Nase. Er hatte offenbar keine rechte Lust zum Reden. Aber ich habe trotzdem geredet und bin auch zu ihm durchgedrungen, zumindest dachte ich das. Ich habe ihn dazu gebracht, die Kinder nach draußen gehen zu lassen. Ein paar Minuten später hatte ich ihn dann so weit, dass er auch seine Frau gehen ließ, obwohl sie gar nicht wollte. Dann waren nur noch er und ich übrig. Ich dachte wirklich, ich hätte es unter Kontrolle. Ich musste nur noch verhindern, dass er sich umbringt, das war die letzte Hürde. Aber ich hatte ihn wohl unterschätzt. Er hat sich die Pistole an die Schläfe gesetzt, und ich habe ihn angebrüllt. Ich bin mit erhobenen Händen auf ihn zugegangen und habe versucht, ihn dazu zu bringen aufzugeben, die Pistole fallen zu lassen. Aber er hat auf meine Brust gezielt und den Abzug gedrückt, einfach so, ohne Vorwarnung. Ich war gerade im Begriff, mich auf ihn zu stürzen. Die Kugel hat mir die Schulter durchschlagen, ich bin zur Seite auf den Boden gefallen. Und dann, als dieses kleine Hindernis aus dem Weg geräumt war, hat er sich den Lauf in den Mund gesteckt und sich den Hinterkopf weggepustet, während ich ihn noch angebrüllt habe.«
Andrea strich ihm über die Wange. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Da siehst du, was passiert, wenn du mich betrunken machst«, sagte Stride. »Du bringst mich dazu, Dinge zu sagen, die dich nur aufregen.«
»Das bin ich selber schuld. Ich habe ja nicht lockergelassen. Aber ich bin froh, dass du es mir erzählt hast.«
»Gut, aber reden wir nicht mehr davon, okay? Sollen wir noch eine Flasche Wein aufmachen?«
Andrea schüttelte den Kopf. »Ich muss
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