Unmoralisch
ebenfalls sehen konnten.
»Ist das der vergrößerte Ausschnitt eines dieser Fotos?«
Stride warf einen kurzen Blick darauf. »Ja.«
»Die Vergrößerung zeigt einen Tisch in der Diele des Hauses, gleich neben der Eingangstür, ist das korrekt?«
»Ja, das ist korrekt.«
Gale griff in die Tasche seines Jacketts, fischte einen schmalen, goldenen Kugelschreiber heraus und deutete damit auf einen Gegenstand auf dem Tisch. »Können Sie uns sagen, was das ist, Lieutenant?«
Stride erkannte den Gegenstand. »Ein Kristallaschenbecher.«
Jetzt wusste er, worauf Gale hinauswollte.
»Und was befindet sich in dem Aschenbecher, Lieutenant?«
»Ein Schlüsselbund.«
»Und nicht nur irgendein Schlüsselbund, sondern Mr Stoners Haus- und Autoschlüssel, nicht wahr?«
»Ich denke schon.«
»Die Schlüssel für den Van. In einem Aschenbecher auf einem Tischchen gleich neben der Haustür.«
»Ja«, sagte Stride.
»Also hätte jeder, der an die Tür gekommen wäre, sich den Schlüssel einfach herausnehmen können, um dann mit dem Wagen zu verschwinden. Und mit Rachel.«
Stride schüttelte den Kopf. »Nein, diese Schlussfolgerung ist angesichts der Beweislage nicht logisch. In dem Szenario, das Sie entwerfen, muss der Mörder gewusst haben, dass Rachel zu Hause ist, er muss zu Fuß gekommen sein, Handschuhe getragen haben, gewusst haben, wo die Autoschlüssel sind, und außerdem dieselbe Schuhgröße gehabt und dieselben Schuhe getragen haben wie Graeme Stoner. Das klingt mir doch sehr nach einem Ihrer Zaubertricks, Mr Gale.«
»Unterlassen Sie solche Bemerkungen, Lieutenant«, warf die Richterin scharf ein.
Stride nickte und entschuldigte sich. Aber immerhin hatte er Gales Hypothesen für den Augenblick entkräftet. Er konnte nur hoffen, dass die Geschworenen durch dieses Gespinst sonderbarer Möglichkeiten, das der Anwalt vor ihnen ausbreitete, nicht vollkommen verwirrt wurden.
Gale schenkte der Richterin ein warmes Lächeln. Dann strich er sich sorgfältig das graue Haar am Hinterkopf glatt und wandte sich wieder Stride zu. »Also gut, Lieutenant, unterhalten wir uns noch ein wenig über die angebliche Affäre, die Mr Stoner mit seiner Stieftochter gehabt haben soll. Für diese wilde Unterstellung haben Sie keine Indizienbeweise, nicht wahr? Keine Spermaspuren? Keine Scheidenflüssigkeit?«
»Soweit ich weiß, wird in dem Haushalt regelmäßig gewaschen«, sagte Stride.
»Auch keine Zeugen?«
»Sie werden ihre Affäre wohl kaum in der Öffentlichkeit verfolgt haben«, antwortete Stride mit einem leichten Lächeln.
Gale lächelte nicht zurück. »Ich interpretiere diese Antwort als Nein, Lieutenant. Sie haben sich außerdem recht intensiv mit Mr Stoners Fantasien auseinander gesetzt. Er beschäftigt sich mit geschmacklosem pornografischem Material.« Gale seufzte. »Mit anderen Worten: Er ist ein Mann. Das Material, das Sie gefunden haben, war doch nicht illegal?«
»Nein«, sagte Stride.
»Man kann all diese Zeitschriften in den Hauptgeschäftsstraßen von Duluth kaufen, nicht wahr?«
»Ich denke schon.«
Gale griff nach der Einzelverbindungsaufstellung, die Dan als Beweisstück vorgelegt hatte, und wedelte damit.
»Und was diese Anrufe bei Telefonsexanbietern betrifft … Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, Lieutenant, aber wenn ein Mann im wahren Leben Sex mit einem Teenager haben kann, warum sollte er dann fünf Dollar pro Minute dafür zahlen, um am Telefon so zu tun, als ob?«
»Das belegt ja auch nur seine Vorliebe für sexuelle Kontakte mit Minderjährigen«, sagte Stride.
»Mr Stoner hat diese Nummern von Zeit zu Zeit gewählt. Wissen Sie, wie viele andere Männer aus Duluth in den vergangenen sechs Monaten dort angerufen haben?«, fragte Gale.
»Nein.«
»Aber ich weiß es. Es waren fast zweihundert. Ein paar davon arbeiten meines Wissens übrigens bei der Polizei, Lieutenant. Haben Sie all diese Männer als Tatverdächtige überprüft?«
»Nein, das haben wir nicht getan.«
Gale nickte. »Natürlich nicht. Denn Sie und ich, wir wissen, dass solche Anrufe nur Fantasien sind und nichts damit zu tun haben, wie ein Mensch sich im täglichen Leben verhält. Stimmt’s?«
»Das hängt von der Situation ab. Und von dem jeweiligen Menschen.«
»Aber Sie wissen doch gar nicht, in welcher Situation all diese Menschen sind«, sagte Gale.
»Nein.«
»Nein, das wissen Sie nicht. Und wenn man das einmal alles beiseite lässt, dann ist das einzige Indiz, das für eine sexuelle Beziehung zwischen
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