Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unnatural History

Unnatural History

Titel: Unnatural History Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Green
Vom Netzwerk:
befördern. 
    Mit dem Gehstock in der Hand hielt er einen Moment inne, um die bekannten – tröstlichen – Gerüche der Stadt zu genießen und den endlosen Hintergrundgeräuschen zu lauschen, die ihm versicherten, dass London lebte und es immer schon getan hatte. Da waren die lautstarken Rufe der Zeitungsjungen, die versuchten, noch die letzten Exemplare der Neuausgaben unter die Leser zu bringen, und die Rufe der Straßenhändler. Da waren das Klappern von Hufen und Wagenrädern auf Kopfsteinpflaster und das Poltern von Benzinmotoren, der Lärm von Schellen und das Zischen der Überlandbahnen, wenn die Waggons über die Köpfe hinweg polterten. Das Netzwerk der Bahnen an der Cross-Town umflocht London wie das schwarze Netz einer Spinne in scheinbar endloser Verworrenheit.
    Ulysses wandte sich nach links und anstatt eine Kutsche anzuhalten, folgte er dem Geländer entlang des Green Parks und spazierte durch die sich ausdünnende Menschenmasse entlang des Piccadilly hinein in das schummrige Halbdunkel. Es fühlte sich gut an, Londons Straßen wieder unter den Sohlen zu spüren. Es erinnerte ihn daran, wo sein Zuhause war und was es bedeutete.
    Inzwischen war jene seltsame Zeit angebrochen, in der die Sonne sank und den Arbeitstag verabschiedete – zumindest für die Meisten – und die Nacht ihr wahres Gesicht mit all ihren wüsten Gelagen zeigte. Es würde also nicht lange dauern, bis Andere die Stadt zu der ihren machten. Vor nicht allzu langer Zeit war auch Ulysses noch einer von ihnen gewesen. Flüchtig dachte er daran, zurück zum Inferno Club zu gehen, um den Abend dort mit Port und Zigarren zu vertrödeln, verwarf den Gedanken aber schnell wieder. Sein Körper schmerzte noch immer und plötzlich musste er sogar ein Gähnen unterdrücken. Sicherlich würde es noch eine Weile dauern, bis er sich von den Verletzungen seiner Reisen erholt haben würde und der Zivilisation entgegentreten konnte, zudem wirbelten Fragen über Fragen in seinem Gehirn umher. Das Dinner allein einzunehmen hatte ihn nur dazu gebracht, immer und immer wieder die Ereignisse im Natural History Museum durchzugehen und abzuwägen, um welche Art von Verbrechen es sich dabei nun genau handeln konnte, zu dessen Aufklärung man ihn verpflichtet hatte. Da waren eine ganze Menge Fragen, die nach Antworten verlangten. Warum sollte ein Dieb, der von einem Nachtwächter gestört wurde, diesen auf so brutale Art und Weise beseitigen und dabei lediglich seine bloßen Hände benutzen? Und was sollte ein schonungsloser Killer mit der Differenzmaschine aus dem Labor eines Professors der Evolutionsbiologie anfangen? Je mehr er darüber nachdachte, desto überzeugter war er, dass man ihn geschickt hatte, um zwei unterschiedliche Verbrechen, ausgeübt von zwei verschiedenen Tätern, zu untersuchen. Doch wo verkrochen sie sich? Arbeiteten sie gar zusammen? Und was war mit Professor Ignatius Galapagos? Welche Rolle spielte er in alledem? Wo war er überhaupt?
    Mit einem Wirrwarr von Fragen und aufreibenden Gedanken in seinem Kopf fand sich Ulysses auf den Stufen zu seinem eigenen Haus wieder. Er klopfte und wurde von seinem getreuen Nimrod eingelassen.
    »Hatten Sie einen guten Abend, Sir?«, erkundigte sich der Hausdiener höflich.
    »Wir leben in einer verblüffenden Welt, Nimrod.«
    »Darf ich damit annehmen, dass Sie wieder arbeiten, Sir?«
    »Allerdings. Und zwar an einem äußerst kuriosen Fall.«
    »Und wie geht es Mr. Wormwood?«
    »Missgelaunt wie stets«, gab Ulysses zu. »Und als wäre das nicht schon genug, hatte ich auch noch eine Auseinandersetzung mit Inspector Allardyce von Scotland Yard.«
    »Wie unerfreulich für Sie, Sir.«
    »In der Tat.«
    »Soll ich Mrs. Prufrock bitten, ein leichtes Nachtmahl für sie zuzubereiten? Ich glaube, wir haben noch Haxe oder etwas Räucherlachs in der Vorratskammer.«
    »Nein danke, Nimrod, ich habe bereits gegessen. Lass uns Mrs. Prufrock doch für die Nacht freigeben«, fügte Ulysses hinzu, als ihm auffiel, dass er seine Köchin, die zugleich als Hausdame fungierte, seit seiner Ankunft nicht gesehen hatte. Allerdings war er noch nicht einmal seit vierundzwanzig Stunden zurück, nachdem er ein Jahr lang weg gewesen war. Nun jedoch wollte er einfach einen Moment für sich allein mit einem Glas herzerwärmenden Brandys in der gewohnten Umgebung seines Studierzimmers, um darüber nachzudenken, was er bisher herausgefunden hatte.
    »Sehr wohl, Sir. Dann sollte ich vielleicht anmerken, dass Sie Besuch haben. Er

Weitere Kostenlose Bücher