Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)
müssen; falls das nicht erfolgt, wird die Menschheit, mindestens aber die Zivilisation untergehen. Diese Entwicklung ist unvermeidlich, falls die Nationen und die Lenker ihrer Geschicke es an einer konstruktiven Planung fehlen lassen.
Mehr als die Hälfte aller Amerikaner ist nach einer Umfrage des Gallup-Institutes der Meinung, dass eine Weltregierung wünschenswert ist. Aber sie denken dabei an etwas, was auf dem Wege friedlicher Verhandlungen vereinbart wird, und schrecken vor dem Gedanken an Gewaltanwendung zurück. In dieser Hinsicht sind sie, glaube ich, im Irrtum. Ich hoffe, dass es genügen wird, mit Gewaltmaßnahmen nur zu drohen; im anderen Falle aber sollte wirklich Gewalt angewandt werden.
Wie wird die Welt nun aussehen, wenn in einem Krieg zwischen den USA und der UdSSR durch den Sieg einer Partei ein Monopol der militärischen Machtmittel errichtet würde? In einer solchen Welt wird ein erfolgreicher Aufstand unmöglich sein. Obwohl natürlich noch gelegentliche Überfälle vorkommen können, wird der Sieger dank der Tatsache, dass er allein über alle wichtigen Waffen verfügt, praktisch unwiderstehlich sein. Deswegen wird Friede herrschen. Die Oberschicht, zumindest der herrschenden Nation, auch wenn sie sonst nichts abzugeben gewillt ist, wird in einer Sphäre außerordentlich großen materiellen Komforts leben. Wie bei den Römern wird das Bürgerrecht zu gegebener Zeit auch auf die Besiegten ausgedehnt werden. Wir werden einen wirklichen Weltstaat – und in seiner Folge allgemeine Sicherheit – haben, und man wird darüber vergessen können, dass er seine Entstehung kriegerischen Eroberungen verdankt. Ein Weltreich unter Führung der USA oder der UdSSR ist somit den Folgen einer längeren internationalen Anarchie wie der gegenwärtigen vorzuziehen.
Allerdings gibt es gewichtige Gründe, die einen Sieg Amerikas wünschenswert erscheinen lassen. In meinen Augen der wichtigste ist, dass in Amerika mehr Achtung vor der Freiheit und anderen Werten einer zivilisierten Lebensform besteht als in Russland. Was ein russischer Sieg bedeuten würde, lässt sich unschwer aus der Entwicklung in Polen ablesen. In Polen gab es blühende Universitäten, deren Professoren große geistige Leistungen aufzuweisen hatten. Einige von ihnen sind glücklicherweise entkommen; die übrigen aber sind einfach verschwunden. Das Unterrichtswesen ist jetzt auf das Erlernen der orthodoxen stalinistischen Lehre beschränkt worden, und die höhere Schulbildung ist lediglich den Jugendlichen zugänglich, deren Eltern »unbelastet« sind. Geistige Werte können durch ein derartiges Bildungssystem nicht geschaffen werden. Der Mittelstand wurde durch Massendeportationen vernichtet, zunächst im Jahre 1940 und dann wieder nach der Vertreibung der Deutschen. Politiker der Mehrheitsparteien wurden liquidiert, eingekerkert oder zur Flucht gezwungen. Wer den Verdacht der Regierung erregt hat, kann oft nur dadurch sein Leben retten, dass er seine Freunde an die Polizei verrät und bei den folgenden Gerichtsverhandlungen Meineide schwört. Wenn dieses Regime während einer Generation an der Macht bleibt, wird es zweifellos seine Ziele erreichen. Die traditionelle polnische Feindschaft gegen Russland wird durch die kommunistische Orthodoxie ersetzt werden. Wissenschaft und Philosophie, Kunst und Literatur werden zu knechtischen Anhängseln des Regierungssystems werden, geistlos, beschränkt und dumm. Kein Individuum wird selbst denken oder auch nur fühlen, jeder wird eine bloße Nummer in der Masse sein. Nach einem russischen Sieg würde diese Mentalität in der ganzen Welt herrschen. Zweifellos müsste als Folge des Sieges eine gewisse Nachgiebigkeit letztlich zu einer Lockerung der Kontrollmaßnahmen führen, aber doch nur sehr langsam, und es bliebe zweifelhaft, ob man je wieder zur Achtung der Einzelpersönlichkeit zurückkehren würde. Aus diesen Gründen wäre ein russischer Sieg in meinen Augen ein schreckliches Unglück.
Ein Sieg der Vereinigten Staaten hätte weit weniger drastische Folgen. Zunächst einmal würde es sich nicht um einen Sieg der Vereinigten Staaten allein handeln, sondern eines Bündnissystems, in dem die anderen Mitglieder einen großen Teil ihrer Unabhängigkeit behalten hätten. Man kann sich auch kaum vorstellen, dass die amerikanische Armee die Professoren von Oxford und Cambridge zur Zwangsarbeit nach Alaska schicken würde. Ebenso wenig glaube ich, dass sie einen Mann wie Attlee wegen Beteiligung an
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