Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)
Bedeutung. Sie kann der Auffassung vom Sinn und Zweck des Lebens eine unpersönliche Weite und Tiefe verleihen. Sie kann dem Einzelnen einen gerechten Maßstab an die Hand geben für sich selbst im Verhältnis zur Gesellschaft, für das Verhältnis des heutigen Menschen zu seinen Vorgängern und Nachfahren, und für die ganze Menschheitsgeschichte im Verhältnis zum astronomischen Kosmos. Indem sie ihn groß denken lehrt, hilft sie ihm die Ängste und Nöte der Gegenwart überwinden und schenkt ihm soviel heitere Gelassenheit, als ein feinfühliger Mensch in unserer zerquälten und unsicheren Welt nur erringen kann.
DER WEG ZUM WELTSTAAT
W enn nicht gänzlich unvorherzusehende Ereignisse eintreten, wird noch vor Ablauf dieses Jahrhunderts entweder das menschliche Leben auf unserem Planeten überhaupt aufgehört haben oder seine Bevölkerung nach einer katastrophalen Verminderung in den Zustand der Barbarei zurückfallen oder die Welt unter einer einzigen Regierung vereinigt sein, die das Monopol für alle wichtigeren Kriegswaffen besitzt.
Ich behaupte nicht, zu wissen, welche dieser drei Möglichkeiten eintreten wird, oder auch nur, welche die größte Wahrscheinlichkeit für sich hat. Ich bestreite nur, dass der bisherige Zustand fortdauern kann. Die Vernichtung der menschlichen Rasse ist noch nicht für den nächsten Weltkrieg zu erwarten, es sei denn, dass er länger aufgeschoben wird, als im Augenblick wahrscheinlich ist. Aber wenn dieser nächste Krieg keine klare Entscheidung bringt oder der Sieger sich unvernünftig benimmt, ja wenn überhaupt organisierte Staatswesen diesen Krieg überdauern, so ist nach seinem Abschluss ein Zeitabschnitt fieberhaft technischer Entwicklung zu erwarten. Viele nüchterne Männer der Wissenschaft glauben, dass dann mit Hilfe einer weitaus wirksameren Nutzbarmachung der Atomenergie, als sie zur Zeit möglich ist, u. a. radioaktive Wolken erzeugt und um den Erdball geschickt werden können, die das Gewebe aller Lebewesen zerstören. Die ungemütliche Episode des »Lebens« wird danach zu Ende sein, und nur mehr friedliche Steinmassen werden: sich weiter um die Sonne drehen, bis sie schließlich explodiert.
Vielleicht würde ein unbeteiligter Zuschauer diese Lösung für die wünschenswerteste halten, in Anbetracht der schon so lange anhaltenden menschlichen Torheit und Grausamkeit. Aber wir anderen, die wir Mitspieler in diesem Drama sind, eingeflochten in das Netz privater Neigungen und allgemeiner Wünsche, wir können eine solche Einstellung kaum mit reinem Herzen dulden. Es stimmt schon, dass ich Menschen sagen hörte, sie würden der Unterwerfung unter die Sowjetunion den Untergang vorziehen, und sicher gibt es auch in Russland Leute, die in Bezug auf die Unterwerfung unter den westlichen Kapitalismus genau dasselbe sagen würden. Aber das ist pure Rederei unter der lügenhaften Maske von Heroismus. Wenn man das also auch als gedankenlosen Unsinn ansehen kann, so ist es doch gefährlich, weil es die Energie der Menschen beim Suchen nach einem Ausweg aus der Katastrophe, die sie angeblich nicht fürchten, nur lähmen kann.
Bei einem Rückfall in die Barbarei wäre eine spätere allmähliche Rückkehr zu Zivilisation – wie etwa nach dem Untergange Roms —noch immer wahrscheinlich. Einige hundert Jahre hindurch würde das Leben zwar hart und grau sein, aber dann würde es doch noch eine Zukunft für die Menschheit geben und vielleicht eine berechtigte Hoffnung.
Ich halte einen solchen Ausgang des wahrhaft »wissenschaftlichen« Weltkrieges keineswegs für unwahrscheinlich. Man stelle sich vor, dass beide Parteien die wichtigsten Städte und Industriezentren des Feindes zu zerstören vermögen, dass Laboratorien und Bibliotheken so gut wie völlig vernichtet und die Reihen der Forscher gelichtet worden sind, dass Hungersnot infolge radioaktiver und Pestilenz infolge bakteriologischer Kriegsführung ausbrechen: würde das Gewebe der menschlichen Gesellschaft derartige Zerreißproben überstehen? Würden nicht Propheten der an den Rand des Wahnsinns getriebenen Bevölkerung predigen, dass ihr Unglück nur von der Wissenschaft komme und dass die Ausrottung der Bildungsschicht das tausendjährige Reich Christi bringen würde? Aus verzweifeltem Elend werden verzweifelte Hoffnungen geboren, und in einer solchen Welt könnte es nur Hoffnungen geben, die abseits aller Vernunft liegen. Ich glaube, die großen Staaten, in denen wir zu leben gewohnt sind, würden aufhören
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