Unscheinbar
auf das Haus zu. Er kam wie berechnet kurz nach Mittag an. Doch bevor er die Haustür erreichte sprang eine kräftige Person aus dem Unterholz, legte dem Mann einen Arm fest um den Hals und brach ihm mit einem Ruck das Genick. Dann wurde der Wanderer an den Platz gezogen, an dem Peter sein Wild zu schlachten pflegte.
Dort wurde ihm sorgfältig der Kopf abgetrennt und mit einiger Mühe die Gesichtshaut abgezogen.
Dass Peter das Geschehen entdecken könnte, war ausgeschlossen, denn er war früh losgezogen um seine Vorräte aufzustocken. Das verschaffte genügend Zeit.
Er konnte das Gefühl des Kopfes unter seinem Arm noch deutlich spüren, während er mit einem seligen Lächeln auf den Lippen sein heutiges Schaffen Revue passieren liess. Doch nun verlangten die Menschen, die um Peters Haus herumwuselten erneut seine volle Aufmerksamkeit. Ein weiteres Highlight stand an. Denn ein grosser Mann in einem dunklen Overall trat auf das kleine Holzhäuschen zu, in dem Peter seinen Fisch und das erlegte Wild räucherte.
Diesen Augenblick wollte er keinesfalls verpassen.
Der Mann öffnete die Tür und wich leicht zurück.
Kein Wunder, von der Decke hingen lauter tote Fische, Tierkadaver und grosse Fleischstücke. Nach dem ersten Schrecken wagte sich der Mann weiter vor. Er verschwand im Dunkeln. Dann erleuchtete ein Lichtkegel den Raum. Der Mann hatte offenbar eine Taschenlampe angezündet.
Man konnte deutlich hören, wie der stattliche Mann im Overall scharf die Luft einsog.
Jetzt hatte er es entdeckt. Ganz sicher. Wieder konnte er in seinem Versteck das Lachen kaum unterdrücken.
Und tatsächlich, der Pegel der Taschenlampe fiel direkt auf einen Torso. An einem Fleischerhaken hing er zwischen den Tieren. Als wäre der kopflose Körper ganz normal zum Räuchern aufgehängt worden.
Er hockte auf seinem Posten und gluckste vor sich hin. Er war mächtig stolz auf sein Werk. Er fand, das war ihm ausserordentlich gut gelungen.
Und er freute sich bereits auf das nächste.
Strang 1 / Kapitel 2
Emma hatte aufmerksam Martins Erzählung gelauscht und war schlussendlich vollkommen in der Geschichte aufgegangen. Sie konnte die Bilder förmlich vor sich sehen, als würde sich alles auf einer Filmleinwand abspielen. Als Martin dann auf einmal schwieg, war ihr, als endete die Filmrolle. Auf der weissen Leinwand ihrer Fantasie flackerten nur noch die schwarzen Streifen vom Ende der Rolle. Sie hatte reichlich Mühe in die Realität zurückzukehren. Entgeistert starrte sie Martin an und wartete auf eine weitere Erklärung. Aber Emma wartete umsonst. Martin erhob sich langsam von seinem Stuhl. Er sah unendlich müde aus. „So meine liebe Emma, es ist schon spät. Rosaria wird mich schelten, weil ich mein Abendessen noch immer nicht eingenommen habe.“
„Ja, aber…“ Emma, nach wie vor sitzend, sah ihm nach, wie er zur Tür ging und sie öffnete. „Das kann doch nicht alles gewesen sein! Was geschah dann?“
Langsam drehte er sich zu ihr um. Einige ewig wirkende Sekunden verstrichen, ohne dass er etwas erwiderte. Er musterte sie nur prüfend.
„Geh. Es ist schon spät. Wenn seine Selbstverliebtheit es zulässt, wird dein Freund sich schon fragen, wo du bist.“
Wie vor den Kopf gestossen erhob sich Emma. Sie trat auf die Tür und damit auf Martin zu. Schweigend stand sie ihm gegenüber.
Martin nickte ihr zum Abschied zu. Sie sah ihn noch kurz an, dann verliess sie den Raum.
Wortlos.
Vor dem Aufzug trat auf einmal Rosaria lautlos hinter sie. Emma schwieg weiter und betrachtete die beiden verzerrten Spiegelbilder in der silbernen Lifttür. Die Bilder verschwanden als die Tür sich öffnete und Emma in die Kabine trat. Sie drehte sich um und stellte sich Rosarias Blick. Die Tür glitt wieder zu.
Aber nicht ganz. Kurz bevor sie sich vollständig schloss, schob sich eine Hand zwischen die Sensoren. Sofort reagierte der Mechanismus. Die Tür öffnete sich. Dahinter stand Martin.
„Emma, eins noch. Erinnerst du dich an unser Gespräch im Auto? Dass ein Kind neben deinem Freund keine Chance hat, sich zu entwickeln?“
Sie sah ihn fragend an, dann nickte sie leicht.
Mit einem ernsten und eindringlichen Ausdruck hielt er ihren Blick fest. “Nicht nur ein Kind kann im Schatten eines Mannes eingehen. Auch eine erwachsene Frau kann es treffen.“
Martin zog die Hand weg und die Tür schloss sich wieder.
Diesmal hielt sie niemand mehr davon ab.
Beinahe lautlos
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