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Unscheinbar

Unscheinbar

Titel: Unscheinbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Berger
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donnerte. Unter seinen Füssen, über seinem Kopf. Einfach überall.
    Er trat näher an die Kante heran, um besser sehen zu können.
    Die Sprengsätze explodierten im Geräuschschatten des Unwetters. Einen Augenblick lang geschah überhaupt nichts.
    Doch dann brach die Hölle los.
    Erst knackte es. Dann krachte es. Der Berg brach ab. Ganze Felsplatten brachen heraus. Geröll, Erde und Gestein lösten sich.
    Tosend stürzte der Schutt in die Tiefe.
    Und riss erbarmungslos alles mit, was sich in den Weg stellte.
    Was mit einem harmlosen Knacken begann, erhielt ungeheure Kraft. Die Gesteinslawine gewann von Meter zu Meter Masse und Geschwindigkeit.
    Erde wirbelte herum, vernebelte die Sicht. Dick und klebrig schwängerte der Staub die Luft. Er setzte sich überall fest. Beim Einatmen kroch er in die Lunge. Er klebte im Gesicht, schlich sich unter die Kleidung. Dagegen kam der rauschende Regen nicht an.
    Die Lawine erreichte den Hof.
    Ob wachend oder schlafend. Wer sich darin befand, wurde erschlagen. Verschüttet. Erstickte. Starb. Niemand hatte eine Chance.
    Der Fluch holte sich auch die letzten der Reichs.
    So schien es.
     
    Das ganze Ausmass der Katastrophe wurde bei Anbruch des Tages sichtbar.
    Die Staubwolke hatte sich noch nicht ganz gelegt, als die Polizei ankam. Ein Blick reichte aus, um zu wissen, dass es zu spät war.
    Dennoch war niemand bereit, aufzugeben. Man schickte Bergungsmannschaften. Suchtrupps. Freiwillige halfen.
    Erfolglos.
    Eine Mahnwache wurde abgehalten. Viele Menschen trauerten um die Familie. Bekundeten ihr Entsetzen über das Schicksal. Nicht nur aus dem Dorf, sie kamen auch aus dem Umland.
    Ändern liess sich das Geschehene aber nicht mehr.
    Der Berg holte sich den Reichhof und mit ihnen die Reichs. So sagte man sich.
     
    Auch wenn man bemerkt hätte, dass die Abbruchstelle am Berg seltsam anmutete, man hätte keine Spuren gefunden, die einen allfälligen Verdacht untermauert hätten.
    Er hatte alles sorgfältig verwischt und aufgeräumt.
    Aber erst, nachdem er sich an dem aussergewöhnlichen Schauspiel ergötzt hatte.
    Zugegeben, Auslöser war nicht die Natur gewesen. Doch die Gewalt, die diese Lawine in sich trug, war natürlichen Ursprungs.
    Wie die Massen auf das Haus zudonnerte. Wie der Staub sich überall festsetzte. Wie die Lawine Gebäude und Bewohner rücksichtslos überrollte. Und verschluckte.
    Innerlich hoffte er, sie mögen aufgewacht sein. Er wünschte sich, sie hätten den Augenblick erlebt, als die Gewalt über sie hereinbrach. Gesehen, wie das Geröll auf sie zustob. Begriffen, was geschah, kurz bevor es sie verschlang. Dieser kleine Moment ungeheurer Intensität. Wenn die Augen sich weiteten, der Puls raste, das Atmen unmöglich wurde. Angst, gar schiere Panik, aufstieg. Die Nerven gelähmt wurden. Bis nur noch ein Gedanke existierte.
    Das sichere Wissen um das Ende.
    Ja. Das war ein würdiger Abschluss gewesen. Mehr als das. Erregung strömte durch jede Faser seines Körpers. Berauscht hielt er inne und kostete seinen Sieg aus.
    Das Beste war, er konnte dieses Gefühl jederzeit wieder abrufen. Die Bilder heraufbeschwören. Sich immer und immer wieder an diesem Rausch laben.
    Aber nicht hier.
    Es war Zeit, die Zelte abzubrechen.
     
     

Strang 1 / Kapitel 36
     
    „So, wie es hier notiert ist, hörten die Bewohner von Schillingsdorf die Bergmännlein lachen, als die Felslawine abging. Angeführt wurde die Lawine von dem Männlein, das vergebens um Unterkunft ersucht hatte. Es sass auf einem grossen Brocken, den er dann mit seinem Stock kurz vor dem Haus der armen Leute, die ihn aufgenommen hatten, zum Stehen brachte. Dieses Haus soll verschont geblieben sein, während der Rest des Dorfes verschüttet wurde und unterging. Damit geriet Schillingsdorf in Vergessenheit. Heute steht dort Berglauenen“, schloss Ben seine Erzählung über die Sage vom Untergang von Schillingsdorf.
    Betretenes Schweigen folgte. War das möglich? Ein Akt von solcher Wut, solcher Grausamkeit. Was musste das für ein Mensch sein, der einen solchen Hass in sich trägt? Was musste einem Menschen zustossen, um so abartig zu werden?
    Emma liess zischend den Atem entweichen, den sie angehalten hatte. „Da spielt jemand Gott.“
    Bei diesen Worten sah Alice mit einem Ruck auf. „Ganz genau.“ Dann schwieg sie wieder. Ihr Gesicht nahm einen abwesenden Ausdruck an.
    „Mama?“, fragte Ben verwundert. „Ist alles in Ordnung? Was hast du? Dir kam doch gerade ein Einfall, nicht wahr?“
    Langsam

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