Unscheinbar
sich irgendwie nicht um das, was sie erwartet hatte. Sie beschloss, sich alles zu Fuss anzusehen. Also stellte sie an Ort und Stelle den Motor des Wagens ab und stieg aus. Natürlich hatte sie bei ihrer Schuhwahl nicht an unwegsames Gelände gedacht. Aber immerhin trug sie Stiefel mit breitem, nicht allzu hohem Absatz.
Emma marschierte geradewegs auf das ehemalige Gebäude zu. Bei genauerem Hinsehen konnte sie den Sinn der scheinbar wirr durcheinanderragenden, verrosteten Stangen erahnen. Die Stangen schienen einmal Regale gewesen zu sein. Zwischen Steinen und Pflanzen fand Emma einen Schraubenschlüssel, ebenfalls von einer Schicht Rost überzogen. Dann entdeckte sie noch einigen Abfall, wie leere Bierdosen, die kaum zum ursprünglichen Bild dazu gehörten. Der demolierte Werkzeugwagen, der unter einem grossen Steinbrocken hervorlugte und teils von Erde verschüttet war, hingegen schon. Emma vermutete sich in einer Art Werkstatt.
Aus diesem Ort war nichts mehr herauszuholen. Sie wandte sich ab und sah sich um. Ein Trampelpfad führte noch etwas weiter bergan und verlor sich hinter dichten Büschen und Bäumen. Emma folgte dem Pfad und verfluchte ihre Gedankenlosigkeit. Die Erde war feucht und bald waren ihre Stiefel von einer anständigen Schmutzkruste überzogen.
Mürrisch auf den Boden starrend hätte sie sie beinahe nicht gesehen.
Zwischen den Büschen einige Schritte von Emma entfernt, blitzte auf einmal etwas auf. Überrascht sah Emma auf, doch da war nichts. Neugierig und vor allen Dingen weit aufmerksamer ging Emma weiter. Und da entdeckte sie sie. Zwischen den Büschen stand sie. Schwarz glänzend und fröhlich die Sonne reflektierend.
Emma war irritiert. Was machte er denn hier?
Sie ging an dem Motorrad vorbei, immer weiter dem Weg folgend. Hier und da entdeckte sie auf der linken und rechten Seite zwischen den Bäumen Anordnungen von Steinen, die Fundamenten glichen. Sollten das alles Gebäude gewesen sein?
Die Menschen hatten alles hier verlassen und die Natur hatte sich den Ort zurückgeholt. Diese Tatsache stimmte Emma nachdenklich. Was hatte die Menschen dazu gebracht, das hier aufzugeben?
Bei jedem Schritt wurde ihr mulmiger zumute. Das Spiel der Sonnenstrahlen und die Ruhe verloren auf einmal ihre entspannende Wirkung. Die Stille wirkte jetzt eher unheimlich. Emma sehnte sich in diesem Augenblick den städtischen Trubel herbei, wie sie ihn sich noch selten gewünscht hatte. Aber sie ging weiter.
Da knackte es im Unterholz. Emma zuckte unweigerlich zurück. Ein leiser Schrei entschlüpfte ihrer Kehle, als ein Vogel mit wildem Flügelschlag zum Himmel empor flog. Emma schloss kurz die Augen und atmete tief ein.
„Ganz schön schreckhaft.“
Wieder schrie Emma auf, diesmal etwas lauter. Sie öffnete die Augen und erkannte, dass ihr gerade Mal ein mildes Lächeln geschenkt wurde. Blau also. Die Augen des mysteriösen Motorradfahrers waren blau. Und was für ein Blau. Eigentlich hatte Emma Angst vor dem Ertrinken. Jetzt nicht mehr. Oder konnte es schlimm sein in diesen Augen zu ersaufen?
„Ich habe Sie wohl mehr erschreckt, als ich dachte. Geht es Ihnen gut?“
Emma tauchte wieder auf. Wie peinlich. Sie spürte, wie ihre Wangen von einem roten Schatten überzogen wurden. Im Boden versinken wäre jetzt ideal. Aber leider nicht machbar. Mist.
Sie räusperte sich. „Ja. Alles klar. Natürlich. Es ist nur, ich habe an diesem gottverlassenen Ort niemanden erwartet.“
„Gottverlassen? Interessante Wortwahl. Nun, es geht mir ebenso. Obwohl ich geahnt habe, dass Sie früher oder später hier auftauchen.“
Emma legte die Stirn in Falten. „Ah, das Buschtelefon hat bereits die volle Wirkung entfaltet.“
„Es ist ein kleiner Ort. Fremde fallen auf. Vor allem solche mit ungewöhnlichen Plänen.“
„So? Was sind denn meine Pläne?“
„Darüber sind sich die Dorfbewohner noch nicht ganz einig. Klar ist, Sie interessieren sich für die Reichs und das gibt eine Menge Stoff für wilde Spekulationen.“
„Ja, das habe ich schon gehört. Ihr Auftauchen hat aber auch deutliche Spuren hinterlassen.“
Jetzt war es an ihm, überrascht aufzuschauen. „Sie haben sich hier wohl schon ganz gut eingelebt, was? So schnell wird normalerweise niemand ins Vertrauen gezogen.“
„Richtige Zeit, richtiger Ort und ein wenig mathematisches Geschick reicht aus. Denn wie Sie wissen sollten, dürften mich die Menschen hier wegen meiner Interessen meiden und nicht ins Vertrauen ziehen.“
„Richtig.“
Weitere Kostenlose Bücher