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Unscheinbar

Unscheinbar

Titel: Unscheinbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Berger
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sie die Augen schloss, raste eine wirre Aneinanderreihung der Erlebnisse des Vortages an ihrem inneren Auge vorbei.
    Plötzlich sah sie sich in einer anderen Zeit auf dem Platz vor dem alten Haus. Alles Geisterhafte war von dem Hof gewichen und er lag strahlend schön in der Sonne. Auf einmal raste ein schwarzes Motorrad den gepflegten Weg hinauf, dann wurde die Umgebung verschwommen. Ein explosionsartiger Knall zerriss die Luft, alles begann sich zu drehen. In der Drehung erschien immer wieder Bens Gesicht. Erst deutlich, dann zunehmend verschwommener. Er lächelte, doch je länger die Drehung andauerte, desto mehr erstarb sein Lächeln, bis es zu einer grausigen Fratze verkam. Aus dem Nichts erschien schliesslich ein Arm, der so schnell nach ihr griff, dass sie nicht ausweichen konnte. Emma schrie vor Entsetzen.
    Dann wachte sie auf.
    Sie atmete schnell. Viel zu schnell.
    Das Zimmer lag in fahlem Licht still da. Obwohl noch drei weitere Patienten Platz hätten, hatte sie den Raum für sich alleine. Dafür war sie jetzt dankbar.
    Sie wusste wieder, weshalb sie Krankenhäuser hasste. Allmählich beruhigte sie sich. Wann hatte sie das letzte Mal einen Albtraum gehabt, der sie derart in Aufruhr versetzt hatte? Das lag ewig zurück. Sie konnte sich nicht einmal mehr erinnern. Vorsichtig rollte sie sich etwas auf die Seite und griff nach ihrem Handy. Kurz vor sieben. Bald würde die nette Krankenschwester anklopfen. Hoffentlich. Dann käme auch der freundliche Arzt. Den mochte Emma besonders. Nicht, weil er gut aussah.
    Er hatte ihr versprochen, sie müsse nur eine Nacht zur Beobachtung bleiben. Wenn er am nächsten Morgen mit den Untersuchungsergebnissen zufrieden wäre, würde er sie entlassen. Ein guter Mann.
    Emma gab sich entsprechend Mühe, ihrem Körper einzureden, dass ihm nichts fehlte. Ausser den hässlichen violett-blauen Flecken und den schmerzenden Muskeln.
    Als es klopfte, wurde Emma nervös. Tatsächlich trat der erwünschte Mann ein. Ihm folgte aber auch ein absolut unerwünschter.
    Ein kleiner Teil von ihr war enttäuscht. Enttäuscht, dass es nicht ein anderer Mann war, der dem Arzt folgte. Sie wusste, wie dämlich das war, ändern konnte sie es aber nicht.
    „Guten Morgen, Herr Doktor.“ Ihr Lächeln war warm, wie die Sonne. Eine Sonne, die die Bekanntschaft mit einem Eisberg machte, als sich Emma an den zweiten Besucher wandte. „Joschua.“
    „Oha. Das war aber keine Begrüssung, sondern eine Feststellung, meine Liebste. Da hat wohl jemand schlecht geschlafen.“
    „Ja, das auch.“ Wieder an den Arzt gewandt fügte Emma hinzu: „Sollte mein Blutdruck erhöht sein, liegt das nicht an meinem Unfall, sondern an der Gesellschaft.“ Sie liess ihren Worten ein zuckersüsses Lächeln folgen, das sie Joschua schenkte.
    „Sie ist witzig, nicht wahr?“, wandte sich Joschua übertrieben höflich an den Arzt.
    Der Arzt aber nickte bloss und wurde ernst. „Obwohl mir bei der Sache nicht ganz wohl ist, werden wir nun sehen, ob wir Sie bereits entlassen können. In Ordnung?“
    Emma nickte eifrig.
    „Gut. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ein solcher Zusammenstoss hat normalerweise weit schlimmere Folgen. Ich möchte einfach ganz sicher sein, dass nicht irgendetwas übersehen wurde. Wir wollen das Glück ja nicht herausfordern.“
    „Nein, das wollen wir keinesfalls“, schaltete sich Joschua ein. „Und ich werde die ganze Zeit bei dir bleiben. Was hast du dir überhaupt dabei gedacht, einfach abzuhauen? Ich habe mir Sorgen gemacht! Niemand wusste, wo du warst!“
    Sorgen? Um wen? Um sich selbst? Oder um die Tussi, die er sich bestimmt gleich nach Beziehungsende ins Bett geholt hatte?
    „Zu grosszügig, Joschua, zu grosszügig. Und jetzt halt die Klappe, damit meine Blutwerte nicht noch weiter verrückt spielen!“
     
    Sie spielten nicht verrückt. Mit Warnungen und Mahnungen des Arztes, einigen Rezepten für Medikamente und einer Packung einfachem Aspirin im Gepäck wurde Emma schliesslich entlassen. Mit Joschua im Schlepptau.
    „Wie kamst du eigentlich darauf, hierher zu fahren?“
    „Das Krankenhaus hat mich informiert.“
    Natürlich. Die Visitenkarte in der Brieftasche mit der kleinen romantischen Nachricht drauf, die Joschua ihr bei ihrer ersten Begegnung zugesteckt hatte. ‚Dein Anblick bringt mein Herz immer wieder dazu, still zu stehen‘. Genau. Mittlerweile war Emma fest davon überzeugt, dass Joschua tausende solcher Karten in Petto hatte und sie jeder übergab, die nicht schnell

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