Unschuldig
nicht schlecht, dachte sie. Die blonden Strähnen waren längst herausgewachsen, und ihr Haar, sonst gelockt und voller Lichtreflexe, wirkte mausgrau und ziemlich langweilig. Ihr Teint war noch winterlich blass, und in der morgendlichen Hektik hatte sie nur ein bisschen Wimperntusche und einen fast farblosen Lippenstift aufgelegt.
Von der Wilmersdorfer waren es wenige Minuten bis zum durchgegebenen Tatort. Sie musste dazu den Adenauerplatz, die Lewisham und den Ku’damm überqueren. In ihrer gefütterten Kapuzenjacke, dem schwarzen T-Shirt, ihren ausgebeulten Jeans und den abgetragenen Doc-Martens passte Paula zumindest optisch ganz gut zu den Leuten vom Filmteam, die auf der Straße warteten und aufgeregt miteinander sprachen, als sie ankam. Einige rauchten.
Es waren etwa fünfzig Menschen, die vor dem Restaurant in kleinen Gruppen zusammenstanden. Rund um den Eingangsbereich war ein rot-weißes Absperrband gezogen. Zwei Polizeibeamte forderten die Passanten in freundlichem, aber bestimmtem Ton zum Weitergehen auf. Auf dem Bürgersteig waren Einsatzwagen geparkt.
Mehrere größere Fahrzeuge der Filmproduktion parkten in der Eisenzahnstraße. Überall Scheinwerfer, Metallständer, große Rollen mit Silberfolie und Unmengen von Kabeltrommeln. Paula ließ ihren Blick über die Filmcrew schweifen. Es waren zumeist junge Männer in schwarzer Kleidung und mit dunklen Baseballkappen, einige mit Aufschrift. Eine junge Frau mit einer dicken Kladde unter dem Arm ging mit wichtigtuerischer Miene zu einem der Lastwagenfahrer, wechselte ein paar Worte mit ihm. Ein weiterer Fahrer biss herzhaft in ein Sandwich, zwei Beleuchter standen auf einem aufgebauten Podest und versuchten von da aus einen Blick ins Restaurant zu erhaschen. An einem Speisewagen, über dem in Schreibschrift »Mamis Catering« stand, gab es Kaffee und Tee in Pappbechern.
Paula bahnte sich einen Weg durch die Menschentraube, die sich vor dem Restaurant gebildet hatte. Die Leiche lag offenbar im linken hinteren Bereich des Restaurants, denn alle blickten in diese Richtung. Polizeifotograf Scholli war bereits da und zeichnete alles mit einer Kamera auf. Beamte der Spurensicherung packten ihre Koffer aus. Sie würden jeden Quadratzentimeter des Leichenfundorts im Laufe der nächsten Stunden absuchen.
Am Eingang zog Paula Schutzanzug und Überschuhe an, nicht viel mehr als schlecht sitzende Plastiktüten. Dabei verlor sie ein wenig die Balance, und ein junger Beamter sprang hinzu, um sie zu stützen. Sie lächelte den Mann an und bedankte sich. Er lächelte nicht zurück, sondern blickte unsicher zu Boden.
Das ist der Nachwuchs, dachte Paula, nicht sehr kommunikativ, aber wenigstens höflich. Als hätte er ihre Gedanken lesen können, straffte der junge Mann plötzlich seine Schultern und verschwand.
Sie ging weiter ins Restaurant hinein. Das appetitliche Lachsrosa der Wände wurde immer wieder unterbrochen vom eleganten Weiß aufgemalter schmaler Säulen. Ein großer quadratischer Raum mit dunkel glänzender Theke im Hintergrund und vielen großen Spiegeln an den seitlichen Wänden. Elegante schwarze Holzlackstühle standen wie Wachsoldaten akkurat aufgereiht an edel eingedeckten Tischen mit weißen Tüchern, die fast bis zum Boden reichten. Über einer Stuhllehne hing eine rote Kostümjacke. Einzelne pinkfarbene Rosen steckten in kleinen grauen Porzellanvasen. Ein heimeliges Ambiente, warm und dezent.
Die Blutspritzer allerdings stellten einen heftigen Kontrast dazu dar. Paula kam es vor, als wäre sie beim Flanieren durch ein Geschäft mit Designermöbeln unmittelbar in einem Schlachthaus gelandet. Ein scharfer Geruch nach Fäkalien, Blut und Alkohol stach ihr in die Nase.
Die Tote lag auf dem cremefarbenen Fliesenboden in einer Blutlache.
Beim Anblick von Mordopfern spürte Paula noch immer Unbehagen, und sie war sofort alarmiert, als Dr. Weber sie in angestrengtem, leicht hysterischem Tonfall ansprach. Das war sie von der sonst so nüchternen Gerichtsmedizinerin absolut nicht gewohnt. »Rigor mortis hat eingesetzt. Ich schätze, dass sie seit mindestens sieben Stunden tot ist.« Dr. Weber kniete im Schutzanzug, unter dem sie eine dunkelgrüne Steppjacke und eine praktische Outdoorhose trug, vor der auf dem Boden liegenden Leiche. Sie verdeckte Paula die Sicht, sodass sie nur das lange schwarze Haar der Toten und ihre schlanken weißen Arme sehen konnte.
»Was ist los?«, fragte sie und stellte sich neben Martina Weber. Fassungslos blickte sie auf
Weitere Kostenlose Bücher