Unschuldig
passierte dann?«
»Dann hab ich Lea Buckow auch gesehen. Und das ganze Blut. Im ersten Moment dachte ich, sie sei gestürzt und hätte sich den Kopf aufgeschlagen. Aber dann registrierte ich die leeren Augen und überall die Würmer. Ich bin raus auf die Straße und habe sofort die Polizei gerufen.«
»Sind Sie dann noch einmal zur Leiche gegangen?«
»Nein, ich hab mich da nicht mehr hingetraut.«
»Und Frau Köster?«
»Keine Ahnung. Nein. Sie ist mir sofort auf die Straße gefolgt. Wir waren beide total durcheinander und ziemlich geschockt. Wir konnten gar nicht glauben, was wir da gesehen hatten.«
»Das kann ich mir vorstellen. War außer Ihnen beiden noch jemand im Restaurant?«
»Nein.«
»Und Sie sind sicher, dass überall verschlossen war?«
»Nein, das kann ich so nicht sagen. Ich hab ja nur die Vordertür geöffnet. Nach hinten bin ich nicht gegangen. Da gibt es noch einen Eingang.«
Paula schrieb »Schlüssel« und »Hintereingang« in ihr Notizbuch. »Wer hat einen Schlüssel für den Eingang zum Restaurant?«
»Ich weiß es nicht hundertprozentig. Die Produzentin natürlich. Und das Produktionsbüro. Und Verena.«
»Können Sie mir sagen, wie hier die Abläufe sind? Es gibt doch sicher Pläne, wer wann wo was machen muss?«
»Ja, dafür gibt es jeweils eine Tages-Dispo.« Die Requisiteurin kramte in einer ihrer beiden Ledertaschen und holte drei aneinandergeheftete Seiten hervor. »Das ist die Dispo für heute.«
»Vom Vortag gibt es die auch?«
»Sicher. Die gibt es für jeden Drehtag. Hier ist die von gestern.« Sie gab Paula drei weitere Seiten.
»Danke. Wer hatte gestern hier zuletzt zu tun?«
»Praktisch alle, die Sie auf der Dispo für die letzte Szene finden.«
Paula faltete die Papiere auseinander. Auf der ersten Seite waren oben in kleingedruckter Schrift alle Beteiligten für den jeweiligen Drehtag in den Gruppen Darsteller, Büro, Team, Sender und Extern aufgezählt. Neben Angaben zu Motiv, Drehort, Wetter (sogar Sonnenauf- und -untergang wurden vermerkt) und Parkplätzen fand sich der genaue Drehtagesablauf. Wer wann von wem abgeholt wurde, wer wann in der Maske und in der Garderobe zu sein hatte. Drehbeginn, Pausen, Drehende und Arbeitsende waren ebenfalls festgelegt. Bei der letzten Szene um 17.30 Uhr »Tag/ Innen Restaurant« waren neben den Beleuchtern und Technikern, der Maske, Requisite und Garderobe nur zwei Schauspieler aufgeführt: Felix Kleist und Nadine Woerner. Aufnahme- und Produktionsleitung, Regie und Assistenten und Praktikanten der Regie und Kamera sollten ebenfalls anwesend gewesen sein. Einundzwanzig Personen zählte Paula für die letzte Szene des vergangenen Drehtages.
»Ich würde jetzt gern mit Verena Köster sprechen.«
»Kommen Sie mit, sie ist draußen.«
Vor dem Cateringwagen standen etwa zwanzig Leute, die alle zum Filmteam gehörten, wie Michaela Brenner auf Nachfrage erklärte.
»Ich könnte noch einen Kaffee gebrauchen«, sagte Paula, die sich plötzlich ziemlich müde fühlte.
Michaela zog sie zur Theke des Wagens. Der junge Mann hinter der Container-Bar flitzte hin und her, um schnell alle Wünsche zu erfüllen.
»Einen starken Kaffee für die Kommissarin!«, rief sie ihm zu. »Und einen für mich, bitte. Dann hätte ich gerne noch zwei Lachsbrötchen. « Sie wandte sich zu Paula um, die hinter ihr stand, und lächelte entschuldigend. »Ich habe heute noch nichts gegessen.«
»Ich auch nicht.«
Blitzschnell reichte der Caterer der Requisiteurin ein Tablett mit den belegten Brötchen und zwei Pappbechern. Sie gab Paula einen Becher Kaffee und eins von ihren Lachsbrötchen.
Es war der schwärzeste Kaffee, den Paula seit ihrem letzten Italienurlaub gesehen hatte. Sie nahm einen Schluck und verzog das Gesicht. Er war so bitter, dass er schon fast sauer schmeckte. Sie bemerkte das Lächeln des jungen Mannes.
Als sich ihre Blicke trafen, sagte er: »Doppelter Espresso! Noch etwas Süßes dazu?«
»Nein, danke.«
»In der Reihe hinter Ihnen wartet Verena«, sagte Michaela.
Paula schnappte sich drei Zuckertütchen und einen Plastiklöffel von der Theke und wandte sich um.
Eine kräftige, etwas herb aussehende Frau mit einem flachsblond gefärbten Kurzhaarschnitt stand in voller Montur vor ihr. In den prallen Seitentaschen ihrer Cargohose klickte bei jeder Bewegung etwas Metallisches. Handy an der Hüfte, ein Sender um den Hals, Clipboard und Skript: »Köster. Ich bin die Aufnahmeleiterin.« Sie war etwa Mitte vierzig, hatte eine
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