Unschuldig!
Bäumen ein Wagen versteckt worden sein könnte, wurde mit jeder Minute stärker. “Kommen wir noch einmal zurück zu Ihrem Neffen”, sagte er beiläufig. “Ich hatte gehofft, Sie könnten uns sagen, wo er zu finden ist.”
“Ich fürchte, ich habe nicht die leiseste Ahnung. Wie ich gestern schon seiner Freundin erklärt habe, hat er sich bei mir seit Ostern nicht mehr gemeldet.”
“Kommt er denn im Sommer nicht nach Hause?” fragte Julia verwundert.
McDermott reagierte mit einem bedauernden Seufzer. “Kaum noch. So wie sein Vater ist Ben ein ziemlicher Abenteurer. Er reist gerne als Rucksacktourist durch Europa, erforscht entlegene Inseln, reist in den Himalaja zum Bergsteigen.”
“Und er ruft nie an?”
“Nur, wenn er etwas braucht.” Das nachsichtige Lächeln kehrte auf seine Lippen zurück. “So sind Kinder nun mal, vermute ich.”
Er ließ das Handtuch auf die Arbeitsplatte fallen und sah auf seine Uhr, um unmissverständlich zu signalisieren, dass dieser Besuch beendet war. “Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen”, sagte er bedauernd. “Und wenn es nur darum gehen würde zu beweisen, dass mein Neffe mit dem Einbruch nichts zu tun hat.”
Ohne große Eile brachte McDermott sie aus dem Gewächshaus.
“Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas von Ben hören?” fragte Steve. “Ich wohne in der 'Hacienda'.”
“Ganz sicher. Auf Wiedersehen, Mr. Reyes.” Er drehte sich um zu Julia und verbeugte sich. “Mrs. Bradshaw.”
“Auf Wiedersehen, Mr. McDermott. Und vielen Dank.”
Mit den Händen auf dem Rücken verschränkt stand ihr Gastgeber in der Einfahrt und sah zu, wie sie abfuhren.
“Der arme Mann”, sagte Julia, als sie sich anschnallte. “Das muss ja schrecklich sein, wenn plötzlich zwei wildfremde Menschen vor ihm stehen und erzählen, dass sein Neffe in irgendwelche furchtbaren Machenschaften verwickelt sein könnte.”
Steve warf ihr einen flüchtigen Blick zu. “Der Kerl tut dir Leid?”
“Ein bisschen schon.”
“Warum?”
“Weil er seinen Neffen offensichtlich sehr liebt. Und er hat Recht. Ich verstehe, warum Eltern ihr Kind beschützen wollen.”
“Der Mann ist ein Lügner.”
“Und du bist ja so was von misstrauisch.” Julia streckte ihre Beine aus. “Hast du nicht gemerkt, dass der Mann unter diesem kühlen Äußeren von der Furcht geplagt wird, Ben könnte tatsächlich in die 'Hacienda' eingebrochen sein?”
Steve rollte mit den Augen. “Mann, er hat dir einen ganzen Haufen Lügen aufgetischt. Ich kann es nicht fassen, dass du so leichtgläubig bist.”
Beleidigt sah sie ihn an. “Warum bin ich leichtgläubig?”
“Weil der Mann lügt. Er versteckt Ben, Julia.”
“Wie kommst du denn darauf?”
“Nur so ein Gefühl.” Er wurde langsamer, damit ein Bussard, der vom Kadaver eines toten Vogels gefressen hatte, rechtzeitig wegfliegen konnte. “Und dann diese verdammten Reifenspuren.”
“Ich kann dir nicht folgen. Welche Reifenspuren?”
Steve lenkte den Wagen durch zwei aufeinander folgende scharfe Kurven. “Es gibt Reifenspuren, die zu den Garagen und zurück führen. Aber eine dritte Reifenspur verschwindet im Wald hinter dem Gewächshaus. Darum habe ich gefragt, ob er ein Boot hat. Ich dachte, er hätte es im Hain untergestellt, damit es nicht der Sonne ausgesetzt ist.”
“Und weil er kein Boot hat, meinst du, dass Bens Wagen dort steht?”
“Da bin ich sicher. Und ich bin genauso sicher, dass der Junge auf die eine oder andere Weise mit
Gleic Éire
in Verbindung zu bringen ist. Ich bin mir nur nicht sicher, in welcher Form.”
Julia betrachtete Steves Profil, das sie mittlerweile so gut kannte. Was hatte es mit dieser Gruppe bloß auf sich, dass sie so sehr an ihm zehrte? Ging es nur darum, gute Arbeit zu leisten? Das brennende Verlangen, den Fall zu lösen, den sonst niemand klären konnte? Als sie ihn jetzt so betrachtete, hatte seine Besessenheit mit
Gleic Éire
etwas … Persönliches.
“Wirst du Hammond davon erzählen?” fragte sie und erwartete fast, dass er verneinte, dass er die Sache auf eigene Faust lösen wollte. Aber er versetzte sie in Erstaunen.
“Da kannst du Gift drauf nehmen. Was wir über Ben herausgefunden haben, und dazu diese Reifenspuren …, das sollte für einen Durchsuchungsbefehl ausreichen.”
“Und wenn nicht?”
Steve bog auf den Highway ein. “Dann durchsuche ich den Zypressenhain alleine.”
Von seiner Terrasse aus hatte McDermott freie Sicht auf die gewundene Zufahrtsstraße. Er stand da und
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