Unschuldig!
Auch wenn sich Andrews Stimmung beträchtlich gebessert hatte, war dies das erste Mal seit über einer Woche, dass er sich für irgendwelche Aktivitäten unter freiem Himmel interessierte. Es war ein gutes Gefühl, zu sehen, dass er sich wieder wie ein ganz normales Kind benahm.
Während sich Andrew auf einen weiteren Wurf vorbereitete, ging Julia zu ihnen nach draußen. “Seid ihr noch immer nicht müde? Ihr spielt seit drei Uhr.”
Steve ließ seine Schultern rotieren. “Erst?”
Sie warf ihm einen amüsierten Blick zu. “In jedem Badezimmer im Haus gibt es eine Salbe gegen Gelenkschmerzen, falls Sie sie benötigen.” Sie winkte Andrew zu. “Komm her, Schatz. Ich muss mit Grandma zum Arzt fahren, und du gehst in der Zwischenzeit zu Tante Penny.”
“Oh, Mom”, jammerte Andrew wehleidig. “Kann ich nicht hier bleiben? Steve hat gestern doch nicht mit mir spielen können, weil es so geregnet hat.”
“Das ist kein Grund, Steves Zeit heute in Anspruch zu nehmen, hörst du?”
Zum ersten Mal hatte sie seinen Vornamen ausgesprochen. Es war unbewusst geschehen, und sie war erstaunt, wie leicht ihr der Name über die Lippen gekommen war. “Ich bin sicher, dass er etwas Besseres zu tun hat, als auf einen kleinen Rabauken wie dich aufzupassen.”
“Eigentlich nicht”, sagte Steve. Er schlug wieder mit der Faust in den Handschuh und zwinkerte Andrew zu. “Außerdem bin ich gerade erst warm geworden.”
Julia zögerte. Sie hatte Andrew noch nie in die Hände eines Fremden gegeben. Irgendwie war es zwischen ihrer Mutter, Penny und Frank bisher nie zu einem Mangel an Babysittern gekommen.
Gleichzeitig fiel es ihr aber schwer, Steve Reyes als Fremden zu betrachten.
Nicht mehr
jedenfalls. In nur drei Tagen hatte der Reporter ihre sämtlichen Verteidigungslinien durchbrochen oder es geschafft, sich unabkömmlich zu machen. Noch überraschender war die Erkenntnis, dass es ihr gefiel, ihn in ihrer Nähe zu haben. Sie mochte das Geräusch seiner Schritte, wenn er die Treppe herunterkam und wie jeden Morgen zum Joggen ging, ob es regnete oder ob die Sonne schien. Und sie mochte es, wie es im Foyer noch immer nach seinem dezenten After Shave roch, wenn er schon längst das Haus verlassen hatte. Ihr gefiel sogar die Art, wie er sie manchmal ansah, mit dieser Mischung aus Belustigung und Bewunderung.
“Mom, bitte.” Andrews Augen hatten einen flehenden Ausdruck. “Ich bin auch ganz brav. Das schwöre ich.”
“Penny sollte dir bei den Hausaufgaben helfen.”
“Steve kann mir auch helfen. Ja, Steve?”
“Solange ich nichts buchstabieren muss. Ich wurde in sechs Jahren sechs Mal aus dem Buchstabierwettbewerb geworfen.”
“Also …” Julia fühlte, dass sie weich wurde. Andrew schien es so gut zu gehen. Wollte sie ihn jetzt wirklich fortbringen? “Na gut”, sagte sie nach einer Weile. “Ich nehme an, ich kann dir vertrauen, dass du die nächsten Stunden keinen Unsinn machst.” Sie wandte sich dann an Steve. “Aber er muss seine Hausaufgaben machen.”
“Schon verstanden.”
“Sie können mich über mein Autotelefon oder im Haus meiner Mutter oder in der Praxis von Dr. Cantrell erreichen. Die ersten beiden Nummern sind im Telefon gespeichert, die Nummer von Dr. Cantrell finden Sie in dem kleinen roten Buch auf meinem Schreibtisch.”
Steve salutierte mit zwei Finger. “Jawohl, Commander.”
Während Andrew laut lachte, verdrehte Julia die Augen und ging zu ihrem Wagen.
“Willst du reinkommen, Darling?” fragte Grace, als Julia in die Einfahrt fuhr. “Ich habe noch etwas von dem Früchtekuchen, den du so magst.”
Julia schüttelte den Kopf. “Nächstes Mal, Mom. Ich bin seit über einer Stunde weg und weiß nicht, wie lange Steve noch durchhält. Du weißt ja, wie gnadenlos Andrew sein kann.”
“Ach, da würde ich mir keine Gedanken machen. Nach allem, was du mir über deinen Mister Reyes erzählt hast, muss er ein ziemlich fähiger und verantwortungsvoller, junger Mann sein.”
“Er ist nicht
mein
Mister Reyes, Mom.”
“Wie du meinst.” Grace suchte in ihrer Handtasche nach den Schlüsseln. “Es war sehr nett von ihm, bei Andrew zu bleiben.”
“Andrew hat ihm keine Wahl gelassen.”
Grace warf ihrer Tochter einen Blick von der Seite zu. “Ich glaube, ich würde ihn gerne mal kennen lernen.”
Sofort wurde Julia misstrauisch. “Warum?”
“Weil er charmant zu sein scheint. Und weil ich gerne einen Blick auf den Mann werfen würde, der auf meine Tochter eine solche
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