Unschuldiges Begehren
wenn Sie kommen. Also, sind Sie bereit?«, fragte sie
sie in dem mitfühlenden Ton, der für gewöhnlich Todeskandidaten vorbehalten war.
»Ja«, antwortete Hailey ihr möglichst gefasst, trat vor die schwere Walnusstür und drehte vorsichtig den Messingknauf.
Tyler Scott beugte sich über einen breiten Schreibtisch und ging einen auf der schimmernden Oberfläche ausgebreiteten Computerausdruck durch.
»Kommen Sie herein, Miss Ashton«, bat er, ohne auch nur aufzublicken, um zu sehen, wer durch die Tür getreten war. Woher hatte er gewusst, dass sie es war?
»Ihr Chanel hat Sie verraten«, meinte er, als ob er ihre Gedanken hätte lesen können, und schaute sie unter seinen dichten Brauen hervor an. »Nehmen Sie doch bitte Platz.«
Würde dies vielleicht kein förmliches, sondern ein eher freundliches Gespräch? Anscheinend, denn sonst hätte er wohl ganz bestimmt nicht ihr Parfüm erwähnt. Aber wann war er ihr nahe genug gekommen, um zu wissen, was für einen Duft sie trug? Und weshalb kannte er sich derart gut mit Düften aus?
Mit zitternden Knien trat sie vor einen der beiden tiefen Ledersessel vor dem Tisch, setzte sich, schlug züchtig ihre Beine übereinander und zupfte den Saum ihres Rockes ordentlich zurecht.
Sie unterdrückte die Empörung über seine Unverschämtheiten am Telefon. Was würde es auch schon nützen, ihn abermals gegen sich aufzubringen? Er war eben ein Chauvinist, der nicht viel von Frauen hielt,
ein Flegel mit der Mentalität eines frühreifen Teenagers. Nichts, was sie sagen könnte, würde daran etwas ändern. Daher wäre es das Beste, wenn sie das, was er am Vorabend geäuÃert hatte, einfach ignorierte. Ja genau, sie würde das Vorgefallene ganz einfach ignorieren und dafür sorgen, dass es bei diesem Gespräch ausschlieÃlich um ihre Arbeit ging.
Eine volle Minute verging, bevor er endlich den Computerausdruck fortschob und sich in den Schreibtischsessel sinken lieÃ. Seltsam, dass er eine derart mühselige Arbeit wie die Durchsicht von Statistiken nicht einem Untergebenen überlieÃ, aber es war offensichtlich, dass er die todlangweiligen Daten selber durchgegangen war.
Die Ãrmel seines frisch gestärkten blütenweiÃen Hemds hatte er bis zu den Ellenbogen hochgerollt. Ein Paar goldener Manschettenknöpfe mit seinen Initialen lag achtlos auf dem Tisch. Er hatte seine gestreifte Krawatte gelockert und den obersten Hemdknopf aufgemacht. Seine Anzugjacke hing an dem Garderobenständer hinter ihm, doch seine Weste trug er noch. Sie schmiegte sich eng an seinen schlanken Oberkörper.
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, legte seine FüÃe auf der Schreibtischplatte ab und starrte sie durchdringend an. »Wie geht es Ihnen, Miss Ashton?«
Falls er sie verwirren wollte, hatte er damit Erfolg. Eine derart zwanglose Höflichkeit hatte sie ganz sicher nicht erwartet. »Danke, gut. Wie geht es Faith? Haben die Stiche noch wehgetan?«
Er verzog den Mund zu einem Lächeln. »Nein. Natürlich hat sie mich aus ihrem Schlafzimmer verbannt, weshalb ich es nicht sicher sagen kann, aber ich gehe davon aus, dass wieder alles in Ordnung ist.«
Hailey setzte ebenfalls ein Lächeln auf und nahm eine minimal entspanntere Haltung ein. »Gut. Ich habe mir Sorgen um sie gemacht und hätte sie heute Morgen gerne angerufen, nur hatte ich keine Ahnung, wo ich sie erreichen kann.«
»In der Glenstone Lodge. Ich habe dort für die nächsten Wochen eine Suite gebucht.«
Offenkundig war ihr ihre Ãberraschung deutlich anzusehen, denn er setzte zu einer Erklärung an. »Da der Hauptsitz meines Unternehmens in Atlanta ist, leben wir normalerweise dort, aber ich musste herkommen, weil ich hier im Park ein paar Dinge verändern will. AuÃerdem dachte ich, ein Tapetenwechsel täte meiner Tochter vielleicht gut. Nach dem Tod ihrer Mutter hat sie sich noch nicht wirklich an das Zusammenleben mit mir ⦠gewöhnt.«
»Sollte Faith nicht in Atlanta in die Schule gehen?«
»Normalerweise ja, aber nicht schon in diesem Herbst. Letztes Frühjahr, nach Monicas Tod, wies sie ernste Stresssymptome auf. Ihr Psychiater hielt es daher für das Beste, wenn sie sich erst mal erholt. Während des Sommers hatte ich einen Privatlehrer für sie, doch ich glaube, an der normalen Schule melde ich sie erst nach Weihnachten an. Den
Weitere Kostenlose Bücher