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Unschuldslamm

Unschuldslamm

Titel: Unschuldslamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Arendt
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hatte er sich von ihr belabern lassen? Warum hatte er auf sie gehört und gelogen? Im Nachhinein, dachte er, war er so sediert gewesen von Deryas Tod, er war willenlos gewesen, er hätte alles gemacht. Er hatte nichts mehr gespürt außer Derya und nichts mehr gedacht außer Derya. Und seine Mom hatte versucht, das auszunutzen.
    Es erfüllte ihn mit Genugtuung, dass seine Mutter am Boden war. Sie war schuld an Deryas Tod, und sie büßte dafür. Valentin glaubte keinen Moment, dass seine Mutter Derya wirklich getötet hatte. Aber sie hatte dazu beigetragen. Sie hatte dafür gesorgt, dass Derya allein zum Bahnhof gegangen war. Sie hatte sie davon abgehalten, in ihre S-Bahn zu steigen, und sie hatte sie ganz allein an diesem Platz mitten in der Nacht sitzenlassen. Seine Mom war eine Bitch, und sie sollte in der Hölle verrotten.
    Er checkte den Facebook-Messenger, als er auf dem Bahnsteig Tiergarten stand. Die Nachrichten von den Mädels ignorierte er, nahm alle Freundschaftsanfragen an, und dann entdeckte er erst, dass sie geschrieben hatte. Er hatte nichts mehr von ihr gehört seit damals. Seit sie ihn davor gewarnt hatte, mit Derya zu gehen. Das war zwei Wochen gewesen, bevor Derya starb.
    »Hi. Wie geht’s.«
    Gestern Nacht, um drei Uhr getippt. Konnte wohl nicht schlafen. Oder war in der Türkei eine andere Zeit? Höchstens eine Stunde Zeitverschiebung, schätzte Valentin. Vorher oder nachher? Egal, es war mitten in der Nacht gewesen. Und jetzt war sie immer noch online. Oder schon wieder.
    »Hi. Geht so. Und dir?«
    »Frag nicht.«
    »:(«
    »Vermisst du sie?«
    »Warum hast du mich damals gewarnt? Was weißt du?«
    »Noch mal: Frag nicht.«
    »Sag mir, wer du bist, sonst hör ich auf.«
    »Eine Freundin.«
    »Von wem?«
    »Kommt drauf an.«
    »?«
    »:)«
    »Wo bist du?«
    »Im Bett.«
    »Bist du krank? Meinte welche Stadt.«
    »Ankara. Und nee. Nur müde.«
    »Ich komm aus der Schule.«
    »:) Wie läuft der Prozess?«
    »Woher weißt du davon?«
    »Ich sag doch: bin eine Freundin.«
    »Keine Ahnung. War nur einmal da.«
    »Wie geht es Aras?«
    »:( Kennst du ihn?«
    »Wird er verurteilt?«
    »Hoffe nicht.«
    »Glaubst du, er war’s?«
    »Never.«
    »Wer dann?«
    »Weiß nicht. Aber A ist ok.«
    Der grüne Punkt war offline gegangen. Valentin starrte auf sein Handy. Dann surfte er auf dem Profil von dieser Sergul herum, aber er konnte nicht mehr herauslesen als damals schon. Sie postete nie irgendwas. Ganz früher mal, Songs oder YouTube-Links, er kannte nichts davon, fast alles türkisch. Oder kurdisch? Vermutlich, wenn sie irgendwie mit Derya zusammenhing. Er hatte keine Ahnung, was der Unterschied war. Als er sie gefragt hatte, hatte Derya nur den Kopf zurückgeworfen und gelacht. Es hatte sie nicht interessiert, was die Kurden von den Türken unterschied, sie sah sich als Berlinerin. Sie sagte, ihr Vater und ihr Bruder würden wahnsinnigen Wert darauf legen, dass sie Kurden waren. Auf ihre Wurzeln und ihren Stamm, ihre Kultur und ihre Geschichte. Aber ihr war es egal gewesen, und deshalb hatte Valentin auch keine Antwort auf seine Frage bekommen. Er hatte sie auf den Hals geküsst und durch ihre Haut mit dem Mund das Glucksen gespürt, mit dem sie geantwortet hatte.
    Valentin ging doch noch mal auf »Short Change Hero« und schloss die Augen. Die S-Bahn hielt am Savignyplatz; er hatte noch Charlottenburg, Westkreuz, Messe Süd und dann erst Heerstraße vor sich, Zeit für den Song, Zeit, um von ihr zu träumen. Er vergrub seine Nase tief in ihrem Haar und spürte ihre Hände auf seinem Rücken. Ihm wurde heiß. »This ain’t no place for no hero, this ain’t no place for no better man, this ain’t no place for no hero, to go home …«, sang Kelvin Swaby, und Valentin dachte daran, wie sie eng aneinandergelegen und sich zu dem Song bewegt hatten. Wenn ihm etwas leidtat, dann, dass er nicht mit Derya geschlafen hatte. Dass er Angst davor gehabt hatte, es einfach zu tun.
    Der Song war zu Ende, jetzt begann Audrianna Cole ein bisschen rumzuheulen, und er öffnete die Augen. Er übersprang den Song, er war definitiv zu traurig jetzt, er brauchte keinen Runterzieher. Warf einen Blick auf das Handy. Hatte eine neue Nachricht. Öffnete den Facebook-Messenger.
    Sergul schrieb. »Kann ich dir ein Geheimnis anvertrauen?«
    B ERLIN- M OABIT, L ANDGERICHT, S AAL 500,
EIN F REITAG IM F EBRUAR, VIERZEHN U HR DREISSIG
    Die Verhandlung lief bereits wieder eineinhalb Stunden seit der Mittagspause, und Ruth hatte

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