Unser Autopilot - wie wir Wünsche verwirklichen und Ziele erreichen können
Kassel.
Stadtgrenzen sind ein weiteres Beispiel. Wenn ich während meines Post-Doc-Studiums in New York einmal in der Woche von der Upper West Side zu meinem Seminar an der Newschool fahren wollte, musste ich bei der damaligen U-Bahn-Verbindung locker eine Stunde einplanen. Das kam mir nicht lang vor, denn es war ja alles in New York. New Yorker motzen selbst dann nicht, wenn sie – innerhalb von New York – zwei Stunden lang für eine Strecke brauchen. Wenn wir Deutschen jedoch von Berufstätigen hören, die täglich zwischen Düsseldorf und Frankfurt hin- und herpendeln, empfinden wir Bedauern, selbst dann, wenn wir eigentlich wissen, dass das heutzutage auch nur eine Stunde Bahnfahrt bedeutet.
Die objektive Zeit spielt bei unserem Empfinden und unserer Motivation eine geringere Rolle als die subjektive. Subjektive Einschätzungen können Lebensentscheidungen leiten. Der typische Niederländer, für den es untragbar wäre, täglich eine Distanz von 2 ½ Stunden zu überwinden, würde ein Jobangebot in einer weit entfernten Stadt eher ablehnen, während jemand, der ans Pendeln gewöhnt ist und sich freut, dass die Entfernung nicht noch größer ist, es begeistert annehmen wird.
Ich dagegen freue mich gerade, dass es nur noch eine halbe Stunde bis nach Köln ist. Und hier sind wir bei einem weiteren motivationalen Prinzip: der Nähe zum Ziel. Wenn wir unserem Ziel bereits ganz nahe sind, dann steigt die Motivation noch einmal kräftig an. Das Pferd läuft schneller, je näher es dem Stall kommt, der Hund sabbert stärker, je näher der Fressnapf rückt, das Muskelspiel des Tigers ist am kraftvollsten, kurz bevor er die Antilope reißt, und auch der Mensch ist stärker motiviert, je näher er seinem Ziel ist. Die Studentin lernt mehr und mehr, je näher das Examen rückt, der Läufer mobilisiert noch mal alle seine Kräfte, wenn die Ziellinie in seinen Blick kommt, und der Schauspieler nimmt seine fünf Sinne zusammen, kurz bevor der Vorhang aufgeht. Mit der Nähe zum Ziel wächst der Wert des Ziels genauso wie die Erwartung, es tatsächlich zu erreichen. Unwillkürlich, und ohne nachzudenken, mobilisieren wir deshalb unsere körperliche und mentale Energie mehr, wenn wir kurz vor dem Ziel sind, während wir noch weit davon entfernt eher mit unseren Kräften haushalten. Interessanterweise ist dieser Motivationsschub abhängig von unserer subjektiven Zeiteinschätzung. So würden wir uns mehr freuen und mehr Energien mobilisieren, wenn wir im Zug von Kassel nach Köln sitzen als in dem von Amsterdam nach Köln, denn subjektiv gesehen kommt uns die Zeit im ersteren Fall kürzer und das Ziel näher vor. Diese sogenannten Motivationsgradienten entstehen vollkommen natürlich und sind ein perfekter Mechanismus, seine Energie möglichst effizient einzusetzen. Ich werde in Prinzip 7 und 8 noch einmal darauf zurückkommen. 31
Nur weg da, weg da, weg, wir haben keine Zeit …
Wie unterscheiden sich Verhaltensweisen unter Zeitdruck von solchen, für die man genügend Zeit hat? Lässt sich ein Modell menschlichen Entscheidungsverhaltens formulieren, das Allgemeingültigkeit in den verschiedenen Situationen beanspruchen kann? Zu diesem Themenkomplex sind recht viele Theorien unterwegs, die den Unterschied zwischen automatischen oder unbewussten Prozessen auf der einen und überlegten, rationalen Entscheidungen auf der anderen Seite beinhalten. Vom Unbewussten wird im folgenden Kapitel die Rede sein. Wann wir überlegt und wann wir impulsiv handeln, hängt jedoch entscheidend vom Faktor Zeit ab. Impulse beeinflussen unser Verhalten vor allem dann, wenn wir wenig Zeit zur Verfügung haben. Fritz Strack und Roland Deutsch haben das in ihrem berühmten RIM -Modell (Modell R- eflektierten und Im -pulsiven Verhaltens) herausgearbeitet.
Im Gegensatz zu vielen Modellen, die Laien nach dem Mund reden und behaupten, dass intuitive Entscheidungen besser seien als rationale, anerkennen Strack und Deutsch die Kraft des Verstandes und beschreiben damit die Stärken und die Schwächen beider Verfahrensweisen. Ich schließe mich ihnen an, denn wenn jemand, der in einem rassistisch geprägten Elternhaus aufgewachsen ist, sich nach reiflicher Überlegung dazu entscheidet, seine Einstellung zu ändern, weil er Diskriminierung für etwas Unvernünftiges hält, dann reflektiert das eine gewaltige kognitive Leistung. Bei solchen wichtigen Veränderungen sind Impulse, das Bauchgefühl oder das sogenannte Unbewusste eher hinderlich. Der Mensch
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