Unser Autopilot - wie wir Wünsche verwirklichen und Ziele erreichen können
nicht. Dein Balkonboden ist wirklich gefährlich, da kann man sich schnell einen Splitter zuziehen, wenn man barfuß läuft. Und die Risse in der Wand habe ich so noch nie gesehen, das Haus wird eines Tages noch über deinem Kopf zusammenbrechen …«
»Und gab es heute auch irgendetwas, was schön war?«
Gustaf starrte lange auf die vor sich hin siechenden Ulmen.
»Schau mich mal an, Gustl, sehe nicht ich wenigstens gut aus?«
»Doch, doch, du siehst im Gesicht ja immer besser aus, wenn Du etwas dicker bist«, sagte Gustaf und klopfte mir auf den »Bauch«.
Menschen haben Gewohnheiten, sie verhalten sich nach bestimmten Routinen. Manche sehen in einem halbvollen Glas immer ein halbleeres – ein Verhalten, das, wie wir bereits gesehen haben, nicht besonders gesund ist. Ob wir immer nach dem Negativen schielen oder vor allem nach dem Positiven – wir tun es unbewusst. Und nur darauf wollte ich Gustaf hinweisen. Ich wollte ihm sein dysfunktionales Verhalten bewusst machen, ich dachte, als Freund wäre es meine Pflicht, weil man an sich selbst meist die schlechten Gewohnheiten nicht wahrnimmt. Meine Hoffnung war, dass die Bewusstmachung seiner Miesepeterei Gustafs Tunnelblick verändern würde. Pustekuchen. Auf diese Macke hingewiesen, begann er sein Verhalten zu erklären, zu rationalisieren. Es war doch so, dass überall Risse waren! Es war doch so, dass die Bäume weniger Blätter trugen als im Vorjahr! Guck doch mal genau hin! Und es ist doch so, dass man in meinem Alter nur zwei Alternativen hat: entweder Kuh oder Ziege!
Interessant ist, dass bestimmte Prozesse bei Menschen unbewusst ablaufen und sie hinterher doch den Eindruck haben, sie hätten sich in keiner Weise von irgendwelchen Gewohnheiten, Routinen oder Automatismen beeinflussen lassen. Die meisten Menschen empfinden ihr Handeln als vernünftig und selbstbestimmt, selbst dann wenn es letztendlich impulsgesteuert, von äußeren Dingen geleitet und nicht selten unfair oder unvernünftig ist. Wie Forschung zeigt, haben Menschen nur selten einen Zugang zu den Quellen ihres Handelns.
Hände weg von linken Socken!
Wie unser Verhalten durch Gewohnheiten bestimmt wird und wir uns trotzdem als Vernunftwesen vorkommen, konnten Richard Nisbett und Timothy Wilson nachweisen. In einem Experiment boten sie Socken an einem Verkaufsständer dar, die sich hinsichtlich ihrer Qualität überhaupt nicht voneinander unterschieden. Dennoch sollten die Versuchsteilnehmer aus diesem Angebot die besten Strümpfe auswählen. Dabei griffen sie häufig unbewusst nach dem Paar, das rechts platziert war. Rechts scheinen viele von uns mit »gut« zu verbinden, vermutlich weil bei vielen von uns die rechte Hand die dominante ist (wir also unsere Ziele vor allem mit der rechten Hand erreichen), oder weil wir gelernt haben, dass man dem Onkel die »gute Hand« gibt und nicht die linke, »schlechte«. Spontan waren die Probanden also auf den Konditionierungsmechanismus rechts = gut hereingefallen.
Interessant ist, dass die offensichtlich dadurch Verleiteten auf Nachfrage ihre Entscheidung vehement verteidigten. Sie behaupteten, das Paar, das sie ausgesucht hatten, wäre wirklich von besserer Qualität, die Wolle fühle sich griffiger an, und die Farbschattierung fiele schöner aus. In Wahrheit waren sie aber unbewusst beeinflusst worden. Ein Programm des Autopiloten war abgelaufen, ohne dass es ihnen bewusst geworden war. Schließlich hatte sich keiner der Versuchsteilnehmer gedacht: »Oooch, rechts ist ja immer gut, also nehmen wir mal die Socken rechts.« Nein, solche Entscheidungsfindungen laufen unterschwellig ab, und die meisten von uns fallen darauf herein. Nicht umsonst stehen in Supermärkten die überteuerten Produkte oder Ladenhüter häufig rechts auf Augenhöhe.
Dennoch hatten die Versuchspersonen, die offensichtlich ihrem Bauchgefühl vertraut hatten (im Sinne von rechts fühlt sich gut an), keinerlei Zweifel an der Vernünftigkeit ihrer Wahl. Denn der Hedonist in uns konstruiert die Wirklichkeit zu seinen Gunsten: Um sich gut zu fühlen, verteidigen wir Entscheidungen als vernunftbasiert, ungeachtet der psychologischen Basis, die tatsächlich den Entscheidungsprozess bestimmt hat. Und weil wir Hedonisten sind, sind wir letztendlich mit unserer Wahl hochzufrieden, egal ob es eine bessere Alternative gegeben hätte oder nicht. Haben wir nicht alle das optimale Handy?
Erkenne dich selbst!, soll am Eingang des Orakels von Delphi gestanden haben. Nisbett und Wilsons
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