Unser Autopilot - wie wir Wünsche verwirklichen und Ziele erreichen können
Columbia University zusammen zu arbeiten. Ich war zu dem Zeitpunkt ziemlich verwöhnt, denn in Trier und in Würzburg, wo ich vorher geforscht hatte, herrschte nicht der an deutschen Unis übliche Mangel an Räumen, Rechnern und Laborausstattung. Ich hatte gehört, dass Columbia eine sehr reiche Universität ist, deren Vermögen zum großen Teil auf Immobilien gründet, und so waren meine Erwartungen, was mein Büro und meine Wohnung anging, hoch. Wohnraum ist teuer in New York und daher extrem gewinnträchtig, doch Columbia greift den Bediensteten mit reduzierten Mieten in ihren eigenen Wohnhäusern unter die Arme – so jedenfalls erklärte mir die Vermieterin des Columbia-Housings den Schnäppchen-Preis von 2000 Dollar für mein dreißig Quadratmeter großes Apartment in einem nicht gerade vornehmen Viertel. Und futsch war mein Forschungsgeld. Mein Mut sank. Mit ungutem Gefühl machte ich mich sofort auf den Weg zu meinem Arbeitsplatz. Schlimmer konnte es kaum kommen: Mein Büro lag im Keller, in einem ehemaligen Durchgang zu einer Zwischenebene, was noch an der kleinen Treppe zur Tür hinter dem Drucker zu erkennen war. Die Treppe nahm fast ein Viertel des insgesamt sechs Quadratmeter großen, fensterlosen Raumes ein. An einer Wand war eine Arbeitsplatte befestigt, unter die zwei Sessel geschoben waren. Mit der Ressource Raum muss offensichtlich auch Columbia haushalten.
Alles relativ. Ron Friedman, ein Doktorand, der direkt neben mir sein Büro hatte, beneidete mich um den »schönen« Raum, weil seiner noch kleiner war und weder Drucker noch Klimaanlage hatte. Letztere transportierte zwar vor allem die Essensgerüche einer chinesischen Suppenküche in meine Arbeitskammer, aber wenn es draußen 40 Grad warm war, handelte es sich dabei wenigstens, metaphorisch gesprochen, um eine erfrischende Soja-Kaltschale in Gasform. Die Tatsache, dass mein Büro kein Fenster habe, sei ebenfalls von Vorteil, bemerkte Ron, denn direkt neben uns würde die Müllpresse arbeiten, die nicht nur wegen des Geruchs, sondern auch wegen des morbiden Lärms den Kollegen, die in Räumen mit Fenstern saßen, zu schaffen machte. Und, so Ron, im Gegensatz zu vielen anderen müsste ich mein Zimmer ja nur mit einer weiteren Kollegin teilen, die noch dazu ziemlich schlau sein sollte. Alle wären schon gespannt auf sie, sie würde dieser Tage zusammen mit mir beginnen. Ich schluckte. Wo war die Weite Ostwestfalen-Lippes? Vom elterlichen Laubengang konnte ich an Kühen und Grobianen vorbei fast bis an die Metalleinfassungen des Mittellandkanales schauen! Und nun, frisch promoviert, sollte ich in einem solchen Loch sitzen, auf einem viel zu tiefliegenden, orthopädisch bedenklichen Stuhl, für den ein Arbeitgeber in Deutschland sicher einen ARD-Brennpunkt wegen Misshandlung von Mitarbeitern zu fürchten hätte? Und was, wenn ich die Kollegin nicht ausstehen konnte? Ron erzählte ehrfurchtsvoll, dass sie in Israel bei Yechiel Klar gearbeitet und danach an der New York University die gesamte Professorenschaft einschließlich ihres neuen Betreuers, Yaacov Trope, mit ihren tollen Ideen, vor allem aber ihrer scharfen, unbarmherzigen Kritik an den gängigen Theorien beeindruckt hatte. Das alles erschien mir als der absolute Super-Gau. Hätte man mich nicht wenigstens mal fragen können? Ich schrieb eine mitleidheischende E-Mail nach der anderen nach Hause.
Und dann kam Nira Liberman. In Wanderstiefeln und majestätischer Haltung. Nach knapper Begrüßung setzte sie sich, schrieb ein paar E-Mails, schaute auf und sagte: »Wir haben hier zwei Möglichkeiten: Entweder wir hassen uns, oder wir lieben uns. Was dazwischen gibt es nicht.«
Wir entschieden uns für Freundschaft, die eine der schönsten ist, die ich je erlebt habe. Jemanden zu haben, mit dem man über alles reden kann, und dann noch mit ihm zu arbeiten, ist ein Privileg. Jemanden zu haben, dessen Erfolge man neidlos anerkennen kann, der einem uneigennützig in jeder Situation hilft, für den man gerne bereit ist, ein paar Überstunden einzulegen, weil etwas absolut Wichtiges abzuschließen ist, den man bewundert und den man dennoch hart angehen darf, wenn er sich gedanklich mal verrannt hat, das ist ein echtes Glück. Nicht nur in beruflicher, sondern auch in privater Hinsicht.
Nira und ich sind seit dieser Zeit seelenverwandt, auch wenn sie inzwischen wieder in Israel arbeitet. Wir haben nicht nur viele Theorien gemeinsam entwickelt, sondern uns auch immer gegenseitig motiviert und
Weitere Kostenlose Bücher