Unser Doktor
nicht arbeiten«, schrie die Frau, »was soll er denn jetzt tun?«
»Er wird eine Prothese bekommen. Er wird einen hübscheren Fuß haben als vorher. Und er wird damit genauso gut laufen wie du.«
Der Frau schossen die Tränen aus den Augen.
»Komm, Herta«, sagte der Doktor leise, legte den Arm um ihre Schulter und ging mit ihr beiseite.
Er sprach leise auf sie ein.
»Es könnte jetzt mehr drunter liegen als sein Fuß«, sagte der Bauer neben mir.
Auf einem Fahrrad kam der Pastor angefahren. Man sah ihm an, daß er schnell geradelt war. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Alles in Ordnung, Herr Pastor«, sagte der Bauer, »nur sein Fuß liegt unten, und der braucht keinen geistlichen Zuspruch mehr«.
Der Pastor lachte. »Na schön«, sagte er.
Der Doktor kam an und lächelte: »Die Gemeinde bleibt vollzählig«, sagte er.
»Was mir natürlich ungeheuer wichtig ist«, grinste der Pastor. Es breitete sich eine Stimmung aus, die ganz im Gegensatz zu der Aufregung und Spannung vorher stand.
Die Bäuerin kam mit Schnaps, und jedem wurde eingeschenkt.
»Gott befohlen«, sagte man zum Pastor, und er trank.
Er sah den Doktor an und sagte: »Für den Körper gibt es Autos, für die Seele nur ein Fahrrad.“
»Wenn es umgekehrt wäre«, grinste der Doktor, »dann müßten Sie sich jetzt auf eine Beerdigung vorbereiten.«
»Ja«, sagte der Pastor, »ich glaube, Sie haben da eine fabelhafte Sache geleistet.«
Der Doktor wusch seine Hände, während der Pastor mit Herta sprach.
»Kind«, sagte er, »dein Mann hat ein Stück Fleisch verloren, aber du bist ohne weiteres in der Lage, es ihm zu ersetzen.«
Er sah ihr auf den Bauch, der leicht gewölbt war.
Die Frau stimmte schließlich, wenn auch unglücklich, in das Lachen der Umstehenden ein. Sie hatte sich gefaßt.
Wir nahmen den Pastor wieder mit nach Hause.
»Es war wohl gefährlich«, sagte der Pastor und war plötzlich ganz ernst.
»Es ging«, murmelte der Doktor, »die Decke hing über uns wie ein Sargdeckel.«
»Es gibt eine Beerdigung, die ich sehr ungern vornehmen würde«, murmelte der Pastor, »Ihre.«
Er brachte sich selbst aus seiner ernsten Stimmung, indem er fortfuhr: »Es wäre natürlich eine großartige Beerdigung. Endlich wär’ die Kirche mal zu klein.«
»Besten Dank«, lächelte der Doktor.
Wir setzten den Pastor ab.
Dann gingen wir ins Haus des Doktors. Seine Frau hatte alles schon über Telefon gehört.
Sie umarmte ihren Mann. Er sah sie etwas erstaunt an.
»He, Alte«, sagte er und schnupperte: »Du hast doch nicht getrunken?«
»Nein«, sagte sie, »gebetet.«
»Hm«, machte der Doktor, »das habe ich hinter mir und bin im Augenblick mehr für einen Schnaps.«
Seine Frau ging eilig, aufgeregt, fröhlich und schenkte uns allen ein.
Der Doktor sah mich an. Er nickte anerkennend. »Sie haben sich wacker gehalten«, meinte er, »was spüren Sie jetzt?«
Ich sagte: »Ein bißchen schlottern mir die Knie, aber mehr noch spüre ich etwas anderes: Befriedigung.«
»Ja«, sagte der Doktor ernsthaft. »Befriedigung ist ein sehr schönes Gefühl. Es ist besser als glücklich sein.«
Er verschwand gleich wieder in seiner Praxis, denn dort saß das Wartezimmer noch voll.
Ich ging nach draußen und besah mir das Dorf etwas genauer. Ich verstand den ersten Eindruck, den ich gehabt hatte, nicht mehr.
Es war ein schönes Dorf. Es fehlten die bemalten Fassaden vom Typ jener Dörfer, die sich an Wettbewerben beteiligen können: Schönheit auf dem Lande. Hier war alles zweckmäßig, kräftig, mit der Natur verbunden. Ein Stall sah wie ein Stall aus, und man kann keine Scheune anstreichen.
Ich fühlte mich wirklich wohl.
Der Pastor sah mich von seinem Haus aus und kam auf die Straße. »Könnte sein«, meinte er, »Sie haben Lust, sich unsere Kirche anzusehen.«
Er führte mich in die kleine Dorfkirche. Sie war eine Taschenbuchausgabe einer richtigen Kirche.
Der Pastor schloß das Portal auf. Es roch etwas streng, kühl und muffig. Die Wände waren kahl, das Holz der Bänke und der Kanzel dunkel vor Alter.
»Wie gefällt sie Ihnen?« fragte der Pastor, und ich merkte am Tonfall: Dieser Mann liebte seine Kirche.
»Sie gefällt mir sehr gut«, sagte ich.
Er lächelte: »Mit Kirchen ist es wie mit Wohnungen, es gibt sehr kostbare und teuer eingerichtete, aber ihnen fehlt etwas, was nicht zu beschreiben ist.« Er sah mich nachdenklich an. »Es gibt Kirchen, da lagern sich die Gebete ab. Sie bleiben in der Decke, an den
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