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Unser Doktor

Unser Doktor

Titel: Unser Doktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Reinecker
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überall gesucht, aber ich finde ihn nicht.«
    »Oh«, sagte der Doktor verdrossen, »ist er verzweifelt?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete die Frau, »und ich habe auch keine Ahnung, wo man ihn suchen soll.«
    »Na denn«, murmelte der Doktor und stieg wieder in seinen Wagen, »dann werden wir es tun.«
    Er fuhr gleich los.
    »Wissen Sie, wo er sein könnte?« fragte ich.
    Der Doktor machte eine unbestimmte Bewegung, dann sagte er leise: »Es ist merkwürdig, aber einfach eine Sache meiner Erfahrung: Verzweifelte Leute werden von Wasser magisch angezogen. Christine haben wir an der Elbe aufgegriffen, Sie begegneten Ursula auf der Brücke, wie Sie mir erzählten, und unser Mann wird sich wahrscheinlich auch am Fluß aufhalten.« Er grinste: »Offenbar fasziniert Wasser in einer Weise, von der sie sich etwas versprechen.«
    Wir fanden den Mann wirklich am Fluß. Er stand im Dunkeln stumm wie ein Baum und sah uns entgegen.

6

    »Harald«, sagte der Doktor, »ich bin es.«
    Er stellte mich vor: »Und das ist ein Freund von mir. Wir suchen dich.« Als er sagte >Das ist ein Freund von mir<, durchfuhr es mich. Er würde es nicht sagen, wenn er es nicht ehrlich gemeint hätte. Das machte mich auf eine Weise glücklich, die mich selbst verwunderte.
    »Um Gottes willen«, sagte der Mann leise, »hat sie das ganze Dorf losgeschickt?«
    »Nein, nur uns beide.«
    »Hat sie Angst?« fragte der Mann und sah uns grübelnd an. Seine Stimme beruhigte mich. Sie klang erschöpft, aber nicht verzweifelt.
    »Natürlich hat sie Angst«, sagte der Doktor, »man hat immer Angst um das, was man liebt.«
    »Danke«, murmelte der Mann, und ich sah im Nachtlicht ein schwaches Lächeln auf seinem Gesicht. Er fuhr fort: »Ich wollte nur nachdenken. Und dazu bin ich gern allein.« Er lächelte stärker: »Ich bin nicht sehr gut im Nachdenken, es fällt mir schwer.«
    Der Fluß hinter ihm warf ein paar schwache Lichtreflexe. Die Nacht war kühl, und man sah unseren Atem.
    Der Mann sah den Doktor an und sagte leise: »Also ich war es, Doktor, nicht sie. Sie war immer in Ordnung, aber ich nicht. Ich habe es geahnt. Ich wollte mal zu Ihnen kommen und mich untersuchen lassen — « Er machte eine Pause, fuhr dann leiser fort: »Dann kam das Kind. Das hat mich ziemlich glücklich gemacht. Männer sind offenbar einfältig. Ich habe wirklich geglaubt, daß es mein Kind ist.«
    »Es ist dein Kind«, sagte der Doktor.
    »Weil ich es liebe? Weil ich es erzogen habe? Weil ich geglaubt habe, es ist meins?«
    »Hör mal zu«, holte der Doktor Atem, »ihr liebt eure Hunde, eure Pferde, sie gehören euch, und ihr habt sie auch nicht geboren.«
    Der Mann lachte: »Na, das ist ein Vergleich, Doktor.«
    Mich freute, daß er lachte. Es hörte sich an, als sei er mit seinem Problem längst zu einem Ende gekommen.
    »Haben Sie ’ne Zigarette, Doktor?« fragte er.
    Ich holte mein Päckchen heraus und bot ihm an. Ich hatte plötzlich große Sympathie für den Mann.
    Er dankte, steckte sich die Zigarette an und blies den Rauch weg.
    »Sie ist ein Luder«, sagte er leise, »geht hin und besorgt sich, was sie von mir nicht kriegen kann.«
    Es war fast ein wenig Bewunderung in seinen Worten.
    »Weil sie dich liebt«, sagte der Doktor.
    »Ich glaub’s ja«, lächelte der Mann, »eben darüber habe ich ja nachgedacht, ob so was möglich ist.« Er hob die Schultern und sah ein bißchen aus, als ob er friere, »aber es muß wohl möglich sein, denn sieben Jahre, die seitdem vergangen sind, sagen mir das.«
    »Das ist sehr vernünftig«, sagte der Doktor ruhig.
    »Ich gebe den Jungen nicht her«, sagte der Mann leise.
    »Da brauchst du keine Angst zu haben.«
    »Ich schwöre Ihnen etwas«, murmelte der Mann, »er wird ihn nie kriegen.«
    Er warf die Zigarette weg. Sie verglimmte auf dem dunklen Boden.
    »So«, sagte er, »nun können wir gehen.«
    Wir fuhren zurück ins Dorf.
    Vor dem Hause stand die große blonde Frau, als habe sie sich nicht gerührt.
    Der Mann stieg aus und ging auf sie zu.
    Die beiden sahen sich an. Offenbar war kein weiteres Wort zwischen ihnen nötig. Sie las ihm alles vom Gesicht ab.
    Sie berührte seinen Arm, und dann gingen sie ins Haus, als hätten sie uns vergessen.
    Der Doktor atmete auf und sah mich an.
    »Na«, sagte er vergnügt, »noch ’ne Frage?«
    »Nee«, sagte ich, »alles in Ordnung.«
    Ich fühlte mich auch ziemlich wohl, wir fuhren langsam nach Hause.
    »Menschen, lieber Freund«, sagte der Doktor, »werden mit den schwierigsten

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