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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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zu decken, schickt der Körper mehr Blut in diese Hirnregion. Wenn man Menschen in ein starkes Magnetfeld bringt, kann man den verstärkten Blutfluss lokalisieren und messen und dadurch indirekt die Gehirnaktivität bestimmen.
    Eine schwere Tür schließt sich hinter Anita, Valeria und mir, als wir den Kontrollraum betreten. Valeria nimmt das Mikrofon: »Denk dran, Joyce, hör genau auf die Geräusche, und wenn du ein Geräusch der falschen Art hörst, drück auf den Knopf.«
    Anita gibt Joyce’ Gewicht und anonymisierte Teilnehmernummer in den Computer des Scanners ein. Einige Mausklicks später ertönt ein Summen aus dem Scannerraum, und ein Bild von Joyce’ Gehirn erscheint auf unserem Bildschirm. Valeria fährt den Stimulus-Computer hoch, Anita den Scanner. Anstelle des Summens erzeugt der Scanner jetzt einen lauten anderthalb Sekunden dauernden Piepton, dann bleibt er vier Sekunden lang stumm, piept wieder und so fort. Zwischen den Pieptönen hört Joyce verschiedene Geräusche in ihren Kopfhörern, etwa, wie eine Dose Coca-Cola geöffnet und das Getränk in ein Glas gegossen wird, wie ein Reißverschluss geöffnet und ein Bogen Papier zerrissen wird. Nach ungefähr zwanzig Minuten schaltet der Scanner ab. Unser Bildschirm zeigt Schnitte durch Joyce’ Gehirn, einen nach dem anderen.
    Einige Minuten später beantwortet Joyce, wieder in ihrer normalen Kleidung, eine Reihe von Fragen auf einem Blatt Papier (siehe Anhang). »Bis zur nächsten Woche«, sagt Valeria beim Abschied. Joyce nickt. Sie war schon zweimal im Scanner. Beim ersten Mal zeigten wir ihr Bilder von Gegenständen und Händen. Beim zweiten Mal Filme, in denen Handlungen zu sehen waren, beispielsweise wie eine menschliche Hand nach einem Weinglas greift, wie eine andere Hand eine Zuckerpackung schließt, aber auch, wie eine Roboterhand die gleichen Tätigkeiten ausführt. Das nächste und letzte Mal, wenn Joyce wiederkommt, werden wir sie veranlassen, Gegenstände mit der Hand zu greifen, sie mit dem Mund zu untersuchen und zwischen die Zehen zu klemmen.
    Wir verstehen Handlungsgeräusche durch eigenes Handeln
    Einige Wochen später halten wir den Atem an, während wir gebannt auf den Bildschirm blicken und auf die Ergebnisse unserer ersten Studie in den Niederlanden warten. Eine Seite des Bildschirms zeigt die Ergebnisse der Versuche, bei denen die Teilnehmer, unter ihnen auch Joyce, bestimmte Tätigkeiten mit den Händen und mit dem Mund ausführten, während auf der anderen Seite die visuellen Ergebnisse zu sehen sind, die allein daraus resultierten, dass die Teilnehmer die Geräusche solcher Handlungen hörten. Was sich auf dem Bildschirm zeigt, ist fast zu schön, um wahr zu sein. Die Geräusche der Handlungen aktivierten ganz offensichtlich dieselben Hirnareale wie die Ausführung ähnlicher Handlungen, wenn auch schwächer (Abbildung 3.1) – genau das Ergebnis, von dem auszugehen war, falls es auditive Spiegelneuronen im menschlichen Gehirn gibt.

Abbildung 3.1
    Die durch das Geräusch von Handlungen hervorgerufene neuronale Aktivität wird als hellgraue Fläche auf einem Querschnitt des Gehirns wiedergegeben (oben links), daneben die Aktivität, die gemessen wurde, während die Teilnehmer Tätigkeiten im Scanner ausführten (oben rechts). Diese beiden Aktivitätsmuster überlagern sich in den prämotorischen, parietalen und temporalen Arealen (unten). Ein direkter Vergleich (Mitte) zeigt, wo sich Handlungsgeräusche und Handlungsausführung »Spiegelareale« teilen (mittelgrau), während andere Areale nur für Handlungsgeräusche (hellgrau) und Handlungsausführung (schwarz) zuständig sind.

Um nützlich zu sein, müsste ein Spiegelsystem selektiv sein. Das Geräusch einer bestimmten Handlung müsste ein Areal aktivieren, das an der Ausführung dieser Handlung beteiligt ist. Beim Affen hatten wir festgestellt, dass Neuronen mit verschiedenen Präferenzen für bestimmte Handlungen häufig nahe beieinander lagen. Ein Neuron, das selektiv für Aufbrechen von Erdnüssen war, befand sich nur einen halben Millimeter von einem Neuron entfernt, das selektiv für das Zerreißen von Papier war. Leider ermöglicht die f MRT keine derartige Detailgenauigkeit, weil die begrenzte räumliche Auflösung das Gehirn in dreidimensionale Bildelemente, sogenannte Voxels, unterteilt, deren jedes ungefähr anderthalb Kubikzentimeter groß ist und Millionen von Neuronen enthält. Innerhalb eines solchen Voxels vermischen sich die Signale aller Neuronen

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