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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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vielen Jahre, in denen ich versuchte, Affen eine einzige Aufgabe beizubringen – etwa in der Mitte eines Bildschirms nach Obstsaft zu suchen –, hatte ich gedacht, sie würden zu Hause in ihrem Käfig zueinander sagen: »Pass auf! Behalt das Kreuz in der Mitte des Bildschirms im Auge!« Doch sie taten es nie …
    Genauso frustrierend ist die Suche nach fossilen Belegen für ein fehlendes Bindeglied der Sprache, weil Wörter und Gesten im Unterschied zu den Knochen unserer Beine nicht versteinern. Als Paläontologen die Knochen der Hominidin »Lucy« im äthiopischen Awash-Tal fanden, konnten sie das Alter der angejahrten Dame auf ungefähr drei Millionen Jahre datieren. Am Skelett konnten sie ablesen, dass Lucy gewöhnlich auf zwei Beinen ging, was sie zum Bindeglied zwischen vierfüßigen Menschenaffen und zweibeinigen Menschen machte. Aber sprach Lucy? Benutzte sie ihre Hände wie die Kinder aus Nicaragua, um ihrer Tochter mitzuteilen, dass sie bald zurück sein würde? Wir haben keine Ahnung.
    Doch vielleicht ist es nicht so rätselhaft, wie wir denken. Obwohl uns empirische Fakten fehlen, haben wir doch einige Hinweise auf die fehlenden Bindeglieder der Sprachevolution – und die Spiegelneuronen gehören dazu.
    Ein Szenario für die Evolution der Sprache
    Mit Sicherheit wissen wir nur, dass unsere Vorfahren vor rund fünf Millionen ein wenig wie Schimpansen aussahen, auf vier Beinen gingen und nicht viel Worte machten – keine, um genau zu sein. Doch es begannen harte Zeiten. Das Klima veränderte sich rasch, wurde kälter und trockener. In Afrika verkümmerten die üppigen dichten Regenwälder, an die unsere Vorfahren gewöhnt waren, und die ungewohnte Savanne bedeckte schließlich große Teile des Kontinents.
    Dort, wo unsere Vorfahren an der alten Lebensweise festhielten, wurden sie in immer kleineren Waldparzellen zusammengedrängt, wo der Wettbewerb um die Nahrungsressourcen entsprechend heftig war. Sie wurden Schimpansen. Andere nahmen die Herausforderung zur Veränderung an und wagten sich in die Savanne hinaus, wo sie, auf zwei Füßen laufend, unweit des Waldrandes lebten. In dieser neuen Umgebung war Innovation der Schlüssel zum Überleben. Nahrung in Form von Kaninchen und Nüssen gab es im Überfluss, doch Kaninchen waren schnell, und Nüsse ließen sich mit den Zähnen allein kaum knacken. Irgendetwas muss damals einen evolutionären Prozess ausgelöst haben, der uns schließlich die moderne Sprache bescherte. Ich vermute, dass uns eine Sequenz von vier relativ kleinen Schritten von stummen, schimpansenartigen Tieren in die geschwätzigen Leute verwandelt haben, die wir heute sind.
    Schritt 1: Lehren. Unsere Vorfahren hatten bereits, wie die heutigen Tier- und Menschenaffen, Spiegelneuronen. Wenn also einer von ihnen entdeckte, wie man Nüsse mit einem Stein knackt, versuchten andere, die ihn zufällig dabei beobachteten, diese Fertigkeiten nachzuahmen. Vom Hungertod bedroht, sollte man sich allerdings nicht auf die gefährlich langsame Methode der zufälligen Beobachtung verlassen.
    An diesem Punkt kam es zu einer Mutation, und die Mutter, die das veränderte Gen besaß, wartete nicht mehr ab, bis ihre Jungen sie zufällig dabei beobachteten, wie sie eine Nuss knackte. Sie wählte einen anderen Weg: Wenn sie zuerst die Aufmerksamkeit ihrer Kinder auf sich lenkte, indem sie ihnen in die Augen sah, und dann die Handlung auf etwas übertriebene Weise vorführte, sobald die Kinder sie anblickten, waren ihre Kinder lange vor den anderen Affenjungen fähig, Nüsse zu knacken. Ihre Kinder wiederum brachten einander all die kleinen Kniffe bei, die sie entdeckten. Je mehr Kenntnisse sie erwarben, desto besser konnten sie die Ressourcen der neuen Umwelt nutzen: schneller und effektiver als andere. Das Ergebnis dieses Wechsels vom zufälligen Beobachtungslernen zum bewussten Lehren bezeichnen die ungarischen Entwicklungspsychologen Gergely Csibra und György Gergely als »natürliche Pädagogik« – ein Verhalten, das es bei nicht-menschlichen Tieren nicht zu geben scheint. 32
    Wenn eine Lehrerin nur einen Stein und eine Nuss zur Verfügung hatte, um die Bewegung vorzuführen, ließ sie den Schüler mit dem Material arbeiten und begnügte sich damit, die Bewegung ohne Stein und Nuss zu demonstrieren und das den Erfolg anzeigende Zerkrachen der Schale stimmlich nachzuahmen. Mit dieser Neigung zum Lehren ergaben sich immer häufiger Lernanlässe, sodass die Hirngröße zum einschränkenden Faktor wurde.

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