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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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motorischen System verankert; wir verwenden unseren Mund zum Sprechen, und die Bewegungen unseres Mundes werden vom motorischen System gesteuert. Und wenn die Bewegungssequenzen motorischer Rituale die Grundlage für die Struktur der Sprache liefern, dann sind auch motorisches System und Grammatik miteinander verwandt.
    Sollte diese Hypothese richtig sein, müssten sich Belege für die Verbindung zwischen motorischem System und Sprache finden lassen – Belege für eine plausible Erklärung, wie das motorische System des Gehirns aus Menschenaffen Talkmaster machen konnte. Tatsächlich haben wir solche Belege – erstens in den Genen und zweitens in den Spiegelneuronen.
    Verknüpfung des motorischen Systems mit der Sprache
    Eine der Verbindungen zwischen Sprache und motorischem System ist das sogenannte FOXP 2-Gen, das 2001 von meinem Freund Simon Fisher, einem brillanten jungen Genetiker, und seiner Forschungsgruppe am Wellcome Trust Centre for Human Genetics in Oxford entdeckt wurde. Sie untersuchten eine britische Familie, » KE « genannt, deren Mitglieder zur Hälfte eine bestimmte angeborene Sprachstörung aufwiesen. 33 Die Betroffenen lassen drei Defizite erkennen. Erstens haben sie Schwierigkeiten, komplexe Bewegungsfolgen des Gesichts und des Mundes hervorzubringen. Aufgefordert, die Backen aufzublasen, sich dann auf die Unterlippe zu beißen und schließlich das rechte Auge zu schließen, kommen sie der Anweisung langsamer nach als die meisten Menschen und machen viele Fehler. Auch ihre Artikulation ist erheblich beeinträchtigt, wodurch ihre Sprache mühsam, langsam und manchmal sogar unverständlich wird. Für die Wiederholung eines Wortes wie thimble (Fingerhut) – wozu die meisten Vierjährigen mühelos imstande sind – brauchen sie mehrere Anläufe und kommen unter Umständen niemals richtig damit zurande. Zweitens haben sie Probleme mit der Grammatik. Wenn man zu ihnen sagt: »Der Hund wurde von einem Mann gebissen«, und sie fragt, ob ein Bild, auf dem ein Hund einen Mann beißt, oder das Bild eines Mannes, der einen Hund beißt, den Satz beschreibt, sind sie verwirrt. Drittens und letztens fällt es ihnen schwer, Symbole und Bedeutungen zu verknüpfen. Zeigt man ihnen beispielsweise wiederholt ein blaues Quadrat, das als 1 bezeichnet wird, und ein rotes Quadrat, das die Markierung 2 trägt, können sie nur mühsam begreifen, dass blau + blau = rot ist. 34
    Eine DNA -Analyse der KE -Familie zeigte nur eine einzige seltene Mutation auf dem FOXP 2-Gen. Zum ersten Mal hatten Wissenschaftler ein Gen gefunden, das direkt und selektiv mit der Sprache verknüpft war.
    Jetzt mussten sie nur noch herausbekommen, wie sich FOXP 2 auf das Sprechen auswirkt. Die Magnetresonanztomografie ( MRT ) der betroffenen Familienmitglieder erbrachte, dass ihr Problem vor allem im motorischen System angesiedelt ist, unter anderem im prämotorischen Kortex, in dem sich beim Menschen die Spiegelneuronen zu befinden scheinen. Außerdem entdeckten die Forscher, dass das Gen die Plastizität der synaptischen Verschaltungen reguliert, die entscheidend zur Verbesserung der motorischen Kontrolle von Gesicht und Mund durch Lernen beitragen.
    FOXP 2 ist keine Besonderheit des Menschen. Mäuse und Singvögel haben vergleichbare, wenn auch leicht differierende Gene. Die Maus-Version von Foxp2 (Genetiker benutzen Kleinbuchstaben für Mäusegene und Großbuchstaben für menschliche Gene – die Überheblichkeit des Menschen) unterscheidet sich an drei Stellen vom menschlichen FOXP 2, was darauf schließen lässt, dass in den siebzig Millionen Jahren Evolution, die zwischen Mäusen und Menschen liegen, drei Mutationen stattgefunden haben. Wir wissen, dass Foxp2 bei den Nagern im Wesentlichen für normales Bewegungslernen zuständig ist, denn Mäuse, bei denen Foxp2 deaktiviert ist, brauchen mehr Zeit, um neue Aufgaben zu lernen. Da Mäuse nicht sprechen, muss während dieser drei Mutationen etwas passiert sein, was das Gen für das Sprechen so wichtig machte.
    Überraschenderweise fanden diese Mutationen nicht in gleichmäßigen Abständen von jeweils dreiundzwanzig Millionen Jahren statt. Vielmehr ereignete sich lediglich eine in den vierundsechzig Millionen Jahren, die die Mäuse von dem letzten gemeinsamen Vorfahren des Menschen und Schimpansen trennen – ein sehr langsames Tempo genetischer Veränderung. In den verbleibenden sechs Millionen Jahren kam es dann plötzlich zu zwei Mutationen, die für eine zwanzigfache Beschleunigung

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