Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
Kommunikation ist an das Gefühl gebunden, dass die andere Seite die Botschaft empfängt. Genauso verhält es sich mit gezieltem Lernen. Nach ein paar Versuchen geben wir es auf, unserer Katze das Sprechen beizubringen, lassen aber bei unseren Kindern nicht locker, da wir sehen, dass sie Fortschritte machen. Spiegelneuronen könnten in dieser Hinsicht sogar bei unseren nicht-menschlichen Vorfahren eine entscheidende Rolle gespielt haben, indem sie das Gefühl vermittelten, dass »eine Botschaft ankommt«.
Das bewiesen die Neurowissenschaftler Sarah Marshall-Pescini und Andy Whiten von der St. Andrews University höchst elegant in einem Film, der eine Interaktion zwischen zwei Schimpansen auf einer Insel im ugandischen Viktoriasee zeigt. Auf der Website http://supp.apa.org/psycarticles/supplemental/com_122_2_186/ SM arshall_Pescini_supplm_material.avi können Sie sich den Film selbst ansehen. 36 In dem Film sehen wir, wie das fünfjährige Schimpansenmännchen Mawa, ein erfahrener Nussknacker, mit einem Stein in der linken Hand auf eine Palmnuss schlägt, die auf einem zweiten, als Amboss dienenden Stein liegt. Dabei bewegt Mawa den Schlagstein rhythmisch auf und ab. Baluku, drei Jahre alt und ein relativer Neuling bei dieser Verrichtung, beobachtet Mawa, um anschließend dessen Verhalten spontan zu spiegeln, wobei er seine Hand im gleichen Rhythmus wie Mawa auf und ab bewegt.
Balukus spontanes Spiegeln dürfte darauf zurückzuführen sein, dass seine Spiegelneuronen diese motorischen Programme auslösten. Die nun erkennbare Nachahmung wird wiederum Spiegelneuronen bei Mawa aktiviert haben, sodass das gerade ablaufende motorische Programm zur Öffnung der Nuss noch einmal verstärkt wurde. Auf diese Weise führen Spiegelneuronen zu einer geschlossenen sozialen Schleife: vom motorischen Programm eines Vorführenden zur Nachahmung durch den Schüler und wieder zurück zum ursprünglichen motorischen Programm des Vorführenden.
Natürlich bemerken Tiere häufig, dass andere Tiere auf sie reagieren; wenn sich Grünmeerkatzen vor Adlern im Gebüsch verstecken, kann der Adler diese Verhaltensreaktion beobachten. Das Besondere an der Nussknacker-Schleife ist die direkte Entsprechung zwischen den Handlungen zweier Individuen. Der »Lehrer« sieht den »Schüler« auf sein Verhalten mit exakt dem gleichen Verhalten reagieren. Der Schüler wird zu einem lebendigen Spiegel für den Lehrer.
Doch es scheint, dass Affen dieser Vorgang nicht ganz klar wird, weil sie ihren Kindern die Ausübung einer Fertigkeit nie explizit beibringen. Im Primatengehirn muss irgendeine Veränderung stattgefunden haben, die uns mittels der Aktivität von Spiegelneuronen zu der Erkenntnis geführt hat, dass die Fertigkeiten unserer Kinder ein unmittelbares Abbild dessen sind, was wir ihnen gerade vorgemacht haben. Daraus folgt, dass die Spiegelneuronen – wenn sie auch nicht die vollständige Erklärung sein können – doch eine solide Grundlage liefern: Die Entstehung der natürlichen Pädagogik als erster Schritt der menschlichen Sprachevolution wird zu einem plausiblen Akt des Weiterbastelns mit Vorhandenem, statt ein unerklärlicher, aus dem Nichts erfolgender Riesenschritt zu bleiben.
Grundlage Nr. 2: Hören ist Handeln
Schritt 2 unseres evolutionären Szenarios legt die Annahme nahe, dass Spiegelneuronen der Schlüssel zur Erklärung der Sprachentwicklung sind, weil die Neuronen, die an der Ausführung eines Befehls beteiligt sind, reaktiviert werden, wenn sie diesen Befehl hören, wodurch wir ein Empfinden für das Gesagte bekommen. Ähnlich wie beim Learning by Doing (»Lernen durch Handeln«) beruht Sprache demnach auf »Hören durch Handeln«.
In den fünfziger Jahren machten Alvin Liberman und seine Kollegen am Haskins-Labor der Yale University eine frustrierende Beobachtung, die sie zu der Annahme brachte, dass Hören durch Handeln tatsächlich eine Grundlage des Sprechens sein könnte – die Entdeckung der Spiegelneuronen vierzig Jahre später zeigte, wie erstaunlich modern ihre Idee war.
Liberman und seine Kollegen wollten erblindeten Kriegsteilnehmern durch die Entwicklung eines Lesegeräts helfen. Damals war die Herstellung eines Gerätes, das mit menschlicher Stimme vorlesen konnte, noch Zukunftsmusik. Deshalb konstruierten sie ein Gerät, das die Buchstaben eines gedruckten Textes durch unterschiedliche Piep- und Summtöne wiedergab. Zu ihrer Enttäuschung mussten sie feststellen, dass ihre Versuchspersonen im Gegensatz zu
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