Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
Stimmungen von den Gefühlen der Menschen in unserer Umgebung direkt beeinflusst werden.
Gefühlsansteckung und Gesichtsmimikry
Eine Gruppe einflussreicher psychologischer Theorien geht davon aus, dass an der Verarbeitung der Gefühle anderer mindestens zwei spezielle Mechanismen beteiligt sind. Einer von ihnen, die sogenannte direkte Gesichtsmimikry , wurde aus der Beobachtung geschlossen, dass der Gesichtsausdruck eines Beobachters häufig den der beobachteten Leute nachahmt. Wenn wir beispielsweise jemanden vor Schmerzen wimmern sehen, verzieht sich unser Gesicht, als hätten wir Schmerzen. Dann können wir auf den Gefühlszustand des anderen schließen, da wir die Konfiguration unseres eigenen (nachahmenden) Gesichtsausdrucks spüren. Viele empirische Daten lassen darauf schließen, dass unsere Gesichtsmuskeln innerhalb weniger hundert Millisekunden von der Beobachtung der Gesichtsausdrücke anderer Menschen beeinflusst werden können. 45 Aus anderen Experimenten wissen wir, dass dieses Prinzip auch für den Körper gilt.
Der zweite Mechanismus, die direkte Gefühlsansteckung , ergibt sich aus der Beobachtung, dass wir uns traurig fühlen, wenn wir unter traurigen Menschen sitzen, und glücklich, wenn wir von glücklichen Leuten umgeben sind. Selbst Kleinstkinder beginnen häufig zu schreien, wenn sie die Verzweiflung anderer Säuglinge miterleben, als hätten sie sich an den Gefühlen der anderen Kinder »angesteckt«.
Man nimmt an, dass Gesichtsmimikry und Gefühlsansteckung durch die Prozesse von Feedback und Ausdrucksverhalten intensiv interagieren. Der Prozess des Ausdrucksverhaltens ist sehr intuitiv. Wenn ich Ihre Freude erlebe und glücklich werde, veranlasst mich mein Glücksgefühl zum Lächeln. Dabei besteht eine indirekte, durch meine eigenen Gefühle vermittelte Ähnlichkeit zwischen meinem Gesichtsausdruck und dem Ihren.
Feedback ist ein Prozess, der bei Weitem nicht so intuitiv verläuft, wohl aber auf faszinierende Weise unsere Gesichtsausdrücke und Körperhaltungen rückwirkend mit unserem Gefühlszustand verbindet. Das Feedback-Konzept geht auf William James, einen amerikanischen Philosophen und Psychologen des 19. Jahrhunderts, zurück. William James hatte großes Interesse an der Frage, welche Beziehung bei Gefühlsbewegungen zwischen Körper und Geist herrsche. Er schrieb:
»Üblicherweise stellt man sich diese alltäglichen Emotionen so vor, dass die geistige Wahrnehmung eines Ereignisses eine geistige Wallung, eine sogenannte Emotion, hervorrufe und dass diese Gemütsbewegung einen körperlichen Ausdruck auslöse. Ich dagegen behaupte, dass die körperlichen Veränderungen unmittelbar auf die WAHRNEHMUNG des erregenden Ereignisses folgen und dass unser Erleben ebendieser Veränderungen zu der Zeit, da sie stattfinden, die Emotion IST . Der gesunde Menschenverstand legt den Gedanken nahe, dass wir unser Vermögen verlieren und daraufhin traurig sind und weinen; dass wir einem Bären begegnen und daraufhin erschrecken und davonlaufen; dass wir von einem Rivalen beleidigt werden und daraufhin zornig werden und zuschlagen. Doch die hier vertretene Hypothese besagt, dass die Reihenfolge falsch ist, dass der eine Gemütszustand nicht unmittelbar durch den anderen hervorgerufen wird, sondern dass zunächst die körperlichen Erscheinungen dazwischentreten müssen und dass die vernünftigere Annahme daher lautet: Wir sind traurig, weil wir weinen, zornig, weil wir zuschlagen, ängstlich, weil wir zittern; und nicht: Wir weinen, schlagen zu oder zittern, weil wir entsprechend traurig, zornig oder ängstlich sind. Ohne die auf die Wahrnehmung folgenden Körperzustände bliebe jene kognitiv, blass, farblos, bar jeder emotionalen Wärme. Wir würden den Bären erblicken und möglicherweise urteilen, es sei am besten, davonzulaufen, die Beleidigung empfangen und es für angebracht halten, zuzuschlagen, jedoch ohne wirklich Angst oder Zorn zu empfinden.« 46
James’ eigenwilliger Gedanke scheint unserem intuitiven Verständnis zu widersprechen, doch eine beachtliche Anzahl von Experimenten zeigt, dass unser Körperzustand, einschließlich unseres Gesichtsausdrucks, unsere Gefühle beeinflussen kann. In einem typischen Experiment dieser Art werden Versuchsteilnehmer an ein Gerät angeschlossen, das die Aktivität verschiedener Gesichtsmuskeln misst. Dann werden sie aufgefordert, die Augenbrauen zu senken und die Kinnbacken zusammenzupressen oder, umgekehrt, die Mundwinkel zu heben. Die Teilnehmer
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