Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
Experiments hatte offensichtlich geklappt.
Nachdem wir dieses Experiment an einem Dutzend Teilnehmer wiederholt hatten, analysierten wir die Daten. Beim olfaktorischen Teil des Experiments hatten nur die unangenehmen Gerüche die anteriore Insel, eine Struktur in beiden Gehirnhälften, aktiviert. Die Insel ist eine Hirnregion, die Input von Nase und Zunge erhält und die Aromen und Geschmäcker der Nahrung verarbeitet. Beim Affen enthält diese Struktur Neuronen, die durch bestimmte unangenehme Geschmäcke und Gerüche aktiviert werden und außerdem Input von inneren Organen erhalten. Sie reagieren also sinnvollerweise auf unangenehme Gerüche und die mit diesen einhergehenden Körperempfindungen. Besonders Letztere müssten bei angenehmen Gerüchen weit geringer sein und daher die Insel erheblich schwächer aktivieren – exakt das belegten unsere Ergebnisse.
Chirurgen haben untersucht, was Menschen empfinden, wenn ihre Insel aktiviert wird. Als der Neurochirurg Wilder Penfield die Insel seiner epileptischen Patienten elektrisch stimulierte, berichteten diese von unangenehmen Empfindungen in ihrem Schlund, und einige begannen sogar zu würgen. 48 Penfield hatte seinen Patienten sogar einen druckempfindlichen Ballon in den Magen eingeführt, mit dessen Hilfe er zeigen konnte, dass die Elektrostimulation auch Bewegungen des Magens hervorrief. Aktivierungen der Insel scheinen von körperlichen, viszeralen Übelkeitsgefühlen begleitet zu sein. Die von uns gemessenen Aktivierungen in der Insel waren also das neuronale Korrelat des intensiven körperlichen Ekels, den die Patienten bei der Wahrnehmung der unangenehmen Gerüche empfanden.
Doch was geschah, während unsere Versuchspersonen die Emotionen anderer beobachteten? Beim Anblick der gefilmten Gesichtsausdrücke wurden die visuellen und prämotorischen Areale jenes Spiegelsystems aktiviert, das auch gefeuert hätte, wenn unsere Versuchspersonen ähnliche Gesichtsausdrücke gezeigt hätten. Es war, als hätten unsere Teilnehmer die beobachteten Gesichtsausdrücke automatisch im Gehirn imitiert. Wenn es ein Spiegelsystem für Emotionen gäbe, hätte in dieser Phase auch die anteriore Insel, die spezifisch für die Wahrnehmung ekelerregender Gerüche zuständig ist, aktiviert werden und den Teilnehmern Ekel einflößen müssen. Dass genau dies geschah, ergab die Analyse unserer Daten. 49
Wir waren hocherfreut. Mehr als ein Jahrzehnt nach der Entdeckung der Spiegelneuronen im motorischen System hatten wir erste Belege dafür geliefert, dass ein ähnliches System auch außerhalb des motorischen Bereichs existiert. Wir hatten gezeigt, dass die sogenannte Gesichtsmimikry eine stellvertretende Aktivität im prämotorischen Kortex ist – als würde die Person den gleichen Gesichtsausdruck erzeugen – und die Gefühlsansteckung eine stellvertretende Aktivität in der Insel – als würde die Person die gleichen Emotionen empfinden.
Von Spiegelneuronen zu gemeinsamen Schaltkreisen
Der Begriff »Spiegelneuron« ist im Hinblick auf Handlungen geprägt worden, weil das Gehirn mit Hilfe von Spiegelneuronen die Handlungen anderer Menschen simuliert und ein Spiegelbild dieser Handlungen erzeugt. Jetzt hatten wir ein ähnliches System für Emotionen entdeckt und brauchten einen neuen Begriff dafür – »Spiegelneuron« war zu fest mit dem motorischen System verknüpft. Wie der prämotorische Kortex für zwei Prozesse verantwortlich ist – Handlungen auszuführen und andere Individuen zu beobachten, so schien die Insel für zwei emotionale Prozesse zuständig zu sein: das starke Körpergefühl des Ekels zu empfinden und Ekel bei anderen zu sehen. Sowohl der prämotorische Kortex als auch die Insel sind in neuronale Schaltkreisen einbezogen, die uns ermöglichen, stellvertretend an den Handlungen und Emotionen anderer teilzuhaben. Wir haben den Begriff »gemeinsame Schaltkreise« geprägt, um diese ganze Familie von neuronalen Strukturen – einschließlich der für Handlungen zuständigen Spiegelneuronen – und ähnliche Systeme – einschließlich der für Ekelgefühle zuständigen Insel – zu beschreiben. 50, 51
Emotionen anderer erkennen
In unseren Experimenten haben wir gezeigt, dass die Insel aktiviert wird, wenn Versuchsteilnehmer den angeekelten Gesichtsausdruck anderer Menschen sehen. Dies lässt darauf schließen, dass dieses Areal an der Wahrnehmung von Gesichtsausdrücken anderer beteiligt ist, indem es die gesehenen Emotionen in eine Repräsentation unserer
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