Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
beschreiben, worauf ihm Mr. B. sagte, sie würden beide wie »Limo« schmecken. Er schien sich also des Unterschieds zwischen den beiden Getränken nicht bewusst zu sein.
Experimente, wie sie an NK und Mr. B. vorgenommen wurden, vermitteln uns Einblick in den Beitrag der Insel zu unserem Ekelempfinden. Ohne Insel wusste Mr. B.s Gehirn zwar noch, was ihm guttat und was nicht, sodass er die Zuckerlösung wählte und nicht die Salzlösung, aber es lieferte ihm keinen »bewussten Gefühlszustand« des Ekels mehr, wenn er die Salzlösung trank. Unter einem bewussten Gefühlszustand verstehen wir eine Verfassung, in der wir etwas bewusst fühlen. Im Gehirn können die Verarbeitung dessen, was schlecht ist, und ein bewusstes Gefühl von Übelkeit und Ekel zwei verschiedene Vorgänge sein. Die Insel ist für jenen notwendig, für diesen nicht, wie Mr. B. unter Beweis stellte, als er sich – auch ohne Insel – noch fähig erwies, die Zucker- der Salzlösung vorzuziehen, das aber nicht bewusst registrierte.
Verbindung von dem, was wir sehen, mit dem, was wir fühlen
Ein Kriminalbeamter, der entscheiden soll, ob ein Verdächtiger schuldig ist oder nicht, überprüft manchmal die Telefonanrufe des Verdächtigen. Das Wissen, mit wem dieser in Verbindung steht, gibt Aufschluss über seine mögliche Beteiligung an dem Verbrechen. Häufig verfahren Neurowissenschaftler ganz ähnlich. Wenn wir die Verbindungen eines Areals kennen, können wir untersuchen, ob das Areal die erforderlichen Informationen erhält, um eine bestimmte Funktion zu erfüllen, und ob es seine Informationen an die richtigen Hirnregionen schicken kann, um die erforderlichen Aktivitäten auszulösen.
Marsel Mesulam und Elliott Mufson, zwei amerikanische Anatomen an der Harvard University, untersuchten die neuronalen Verschaltungen der Insel, indem sie Farbstoffe injizierten und so die Bahnen ihrer zuführenden und hinausführenden Verbindungen markierten. 55 Die anteriore Insel, die, wie unser f MRT -Experiment zeigte, beim Beobachten und Erleben von Ekel aktiv ist, erhält Input von Hirnregionen, die Informationen von allen Sinnesorganen des Körpers bekommen, aber auch von Nerven, die den Zustand unserer inneren Organe erfassen – Herz, Darm, Magen etc. Diese Information wird dann als motorischer Befehl an dieselben Organe und den Hypothalamus zurückgeschickt, damit sie unseren Körperzustand ändern – indem sie beispielsweise den Brechreiz aktivieren, wenn wir etwas Unbekömmliches gegessen haben, oder Stresshormone ausschütten, um uns auf eine Gefahrensituation vorzubereiten.
Das oben beschriebene Verschaltungsmuster hat zwei wichtige Folgen für die Funktion der Insel. Erstens kann die Insel, da sie in der Lage ist, den inneren Zustand unseres Körpers zu erfassen, unsere »Bauchgefühle« erkennen. Ein solches Bauchgefühl ist von entscheidender Bedeutung für Körperzustände, die mit Nahrung zu tun haben, beispielsweise Übelkeit. Ohne die Fähigkeit, ihre inneren Zustände zu erfassen, schienen NK und Mr. B. keinen Ekel mehr empfinden zu können. Ihr Gehirn schien unterbewusst noch entscheiden zu können, ob ein Geschmack gut oder schlecht für den Körper ist, aber sie merkten nicht, ob ihnen etwas »auf den Magen schlug« – was entscheidend für unser Ekelempfinden ist.
Zweitens, das Zusammenlaufen von visuellen und akustischen Informationen in der Insel ermöglicht uns, Signale über den Ekel anderer mit den Neuronen zu verknüpfen, die das Ekelempfinden unseres eigenen Körpers erkennen. Diese Konvergenz könnte der Schlüssel für die Aktivierung der Insel während des Erlebens wie des Beobachtens von Ekel in unserem f MRT -Experiment sein. Ohne diese Vereinigung der Signalströme waren Mr. B. und NK unfähig, das Ekelempfinden anderer auf die eigene Übelkeit zu beziehen. Ohne dieses Empfinden ist Ekel kein Ekel mehr.
Der Körper ist fester Bestandteil des Geistes
Vielfach stellen wir uns den Geist losgelöst von unserem Kör per vor. Im Zeitalter des Computers träumen Science-Fiction-Auto ren von einem ewigen, in einem Computer gespeicherten Leben des Geistes. Als Kind war ich von der Vorstellung fasziniert. Jedes Mal, wenn ich eine Erkältung oder Zahnschmerzen hatte, fragte ich mich, wie schön das Leben sein müsste, von den Beschwerden und Schmerzen unseres unvollkommenen Körpers erlöst zu sein.
Doch wir sind weit mehr als nur unser bewusster, logischer Geist. Die Patienten Mr. B. und NK führen uns vor Augen, wie
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