Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
unvollkommen ein Leben ohne die Empfindungen unseres Körpers ist. Durch Einbuße der Verbindung zwischen Geist und Körper verlieren wir – ganz so, wie William James es angenommen hat – unsere Fähigkeit, bestimmte Gefühle zu empfinden. Stellen Sie sich vor, wie trostlos das Leben wäre ohne die Wärme, die uns die Umarmung eines Partners gibt, wie kurz unser Leben wäre, wenn die Verletzungen unseres Körpers nicht so verdammt schmerzhaft wären, und was Liebe bedeuten würde ohne das Empfinden physischen Schmerzes, das wir verspüren, wenn wir weit entfernt von unseren Lieben sind.
Auch wenn unser logisches Denken gelegentlich von unseren Gefühlen verschattet wird, würden wir uns vermutlich überhaupt nicht die Mühe machen zu denken, gäbe es nicht diese physische Erregung, wenn wir glauben, dass unser Denken zum Erfolg geführt hat. Unser Geist ist in unserem Körper verwurzelt. Durch die Entdeckung gemeinsamer Schaltkreise gewinnt der Körper nicht nur zentrale Bedeutung für unser eigenes Gefühlsleben, sondern auch für den geistigen Austausch mit anderen. Um das Handeln anderer Menschen zu verstehen, müssen wir es auf den motorischen Programmen unseres Körpers abbilden. Wenn wir ihre Emotionen verstehen wollen, müssen wir sie auf unserem eigenen viszeralen Gefühl abbilden. Hollywood-Figuren wie der Vulkanier Spock oder der Androide Data in Star Trek machen deutlich, wie viel ärmer unser Leben wäre ohne die Hochs und Tiefs unserer körperlichen Emotionen. In der Faszination, die Emotionen auf diese Figuren ausüben, spiegelt sich der Reiz, den diese intensiven Zustände auch auf uns ausüben. Die Unfähigkeit der Spocks und Datas, zu verstehen, was tatsächlich in den hochemotionalen Menschen um sie her vor sich geht, zeugt davon, wie wichtig unsere Emotionen für das Verständnis anderer sind. Man muss ein Mensch sein, um einen Menschen zu verstehen …
Für diese Abbildung ist der Körper unentbehrlich, und die Insel scheint in den Prozess eingebunden zu sein, in dessen Verlauf der bewusste Geist vom Ergebnis dieser körperlichen Abbildung erfährt. Wir müssen aufhören, dualistisch zu denken, das heißt, einen Gegensatz zwischen dem bewussten, logisch-rationalen Denken und den Bauchreaktionen zu konstruieren. Körper, Gehirn und bewusster Geist sind Partner und stehen in ständigem Austausch. Viele wichtige Prozesse sozialer Kognition finden im Gehirn, aber außerhalb des bewussten Geistes statt.
Wer empathischer ist, aktiviert die Insel stärker
Oben haben wir erläutert, dass empathischere Personen bei der Beobachtung von Handlungen anderer ihre eigenen Handlungen stärker aktivieren als weniger empathische Menschen. Daraus folgt, dass sie auch ihre eigenen Emotionen stärker aktivieren, wenn sie die Emotionen anderer beobachten. 2007 gingen Mbemba Jabbi, ein fröhlicher Doktorand, der als Bürgerkriegsflüchtling aus Sierra Leone in die Niederlande gekommen war, und ich dieses Problem an. Von Emotionen fasziniert, scannte Mbemba achtzehn Versuchspersonen unter Verwendung einer ähnlichen Versuchsanordnung, wie Bruno Wicker und ich sie gewählt hatten, nur dass er Filme von angeekelten und neutralen Gesichtsausdrücken zeigte. Anstelle der lediglich angenehm berührten Gesichter, die Bruno und ich in unseren Filmen dargeboten hatten, forderte Mbemba seine Schauspieler auf, ekstatisch auszusehen, nachdem sie aus einem Becher getrunken hatten, als hätten sie großen Durst gehabt und seien nun von dem Getränk außerordentlich erfrischt. Diese Filme zeigte er seinen Versuchspersonen, während er ihre Gehirnaktivität mittels f MRT maß. Später ließ er die Teilnehmer im Scanner angenehm und unangenehm schmeckende Substanzen probieren. Vor allem aber forderte er seine Versuchsteilnehmer in Anlehnung an die wegweisende Arbeit der deutschen Neurowissenschaftlerin Tania Singer auf, Davis’ Empathie-Fragebogen (vgl. Anhang) auszufüllen, um messen zu können, ob empathische Individuen bei der Beobachtung von Emotionen anderer tatsächlich Hirnregionen stärker aktivieren, die am eigenen Geschmackserleben beteiligt sind. 56
Besonders beeindruckt war Mbemba von dem Befund, dass die Teilnehmer, je empathischer sie sich auf dem Davis-Fragebogen einstuften, beim Anblick der Emotionen von anderen ihre eigenen viszeralen Empfindungen in der Insel desto stärker aktivierten. 57 Das untermauerte die These, dass unsere in der Insel gemessenen Daten tatsächlich den neuronalen Prozess wiedergaben, der
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