Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
bescheidene Hinnahme der egozentrischen Situation dessen, der keine anderen Handlungen oder Empfindungen kennt als die eigenen. Anschließend kann unser Verstand das Ergebnis dieses egozentrischen Spiegelns vernünftiger und logischer beurteilen.
Man kann vermuten, dass die Empfindungen, die wir Gegenständen zuschreiben, mit der Bedeutung verknüpft sind, die diese in unserem Leben besitzen. Das dürfte auch für viele Tiere gelten. Wenn sich Primaten von Ast zu Ast schwingen, müssen sie wissen, wann sich ein Ast gefahrlos biegt und wann er bricht. Sich erinnernd, welche Äste ihr Gewicht ausgehalten haben und welche gebrochen sind, könnten die Tiere empirische Regeln entwickeln, doch den Erwerb dieses Wissens würden sie mit gebrochenen Rippen und Todesfällen bezahlen. Die Alternative wäre, dass sie ein intuitives Verständnis für die Belastungsgrenze von Ästen entwickeln, indem sie die Erfahrungen mit dem eigenen Körper auf solche unbelebten Gegenstände übertragen. Immer wenn wir unsere Finger verbiegen, gewinnen wir eine introspektive, das heißt auf Selbstbeobachtung beruhende Vorstel lung von schmerzfreier Spannung, schmerzhafter Spannung und manchmal auch Brüchen. Diese Gefühle lassen sich vielfältig auf intuitive Konzepte abbilden – zum Beispiel, wie weit sich ein Ast biegen lässt, bevor er bricht. In neuerer Zeit könnte uns die Empathie daran hindern, die wertvollen Apparate und Ma schinen zu beschädigen, die wir verwenden – etwa unsere ge liebten Automobile. Die moderne Kultur ist kaum denkbar ohne das Empfinden, dass »Dinge« nicht zerstört werden dürfen. Gemeinsame Schaltkreise, die Empathie für unbelebte Objekte entwickeln, sind möglicherweise evolutionäre Bausteine, die diese Fähigkeit vorbereitet haben.
Man könnte sogar noch einen Schritt weiter gehen und die Beziehung zwischen unserem Eigentumsbegriff und Empathie untersuchen. Neigen wir, wenn wir sehen, wie unser Auto einen Kratzer bekommt, in höherem Maße zu Empathie und Aktivierung unseres somatosensorischen Kortex, als wenn es sich um das Auto von jemand anderem handelt? Der Umstand, dass weder der Roboter in unserem Experiment über Handlungen noch die Gegenstände in unserer Studie über Sinneswahrnehmungen den Versuchsteilnehmern gehörten, legt den Schluss nahe, dass ein gewisses Maß an Mitempfinden auch dann vorkommt, wenn keine Besitzgefühle im Spiel sind. Besitzgefühle könnten dieses Mitempfinden also verstärken, und umgekehrt könnte unsere Bindung an ein Objekt die Empathie mit dem Objekt fördern. Allerdings müssen wir diese Hypothese noch überprüfen.
Wie dein Schmerz zu meinem Schmerz wird
Während wir uns mit dem Spiegelsystem für Berührungen beschäftigten, begann die deutsche Psychologin Tania Singer in London das Phänomen, das mich schmerzlich zusammenzucken ließ, als sich Valeria in den Finger schnitt, direkt zu untersuchen.
Später erzählte Tania mir am Swimmingpool eines Landguts, in dem wir uns nach einer Konferenz in der Toskana alle eingemietet hatten, sie habe einfach eine Anzeige aufgegeben: »Paare gesucht für Empathie-Experiment mit Magnetresonanztomografie«. Die interessierten jungen Paare, die sich auf die Anzeige meldeten, lud sie zu einem Informationstreffen ein, bei dem sie die Studie erklärte: Die Frau liege in einem MRT -Scanner und der Partner sitze neben ihr. Beide hätten kleine Elektroden an den Händen, über die sie beide von Zeit zu Zeit einen leicht schmerzhaften elektrischen Schlag erhalten würden. Tania befestigte die Elektroden an den Händen der prospektiven Teilnehmer, um ihnen zu zeigen, wie sich das anfühlte. Der Schlag war schmerzhaft, aber nicht unerträglich – als würde man gekniffen. Während die Frau beim Experiment im Scanner liege, so fuhr Tania fort, erblicke sie auf dem Schirm einen kleinen Pfeil. Wenn der Pfeil auf ihre Hand zeige, werde ihr der Schlag verabreicht, schmerzhaft, wenn der Pfeil dunkel sei, schmerzlos, wenn er hell sei. Zeige der Pfeil auf die Hand des Partners, erhalte er entweder den schmerzhaften oder schmerzlosen Reiz; andere Anzeichen für den Schmerz des Partners gebe es nicht. Sobald der Scanvorgang laufe, dürften die Teilnehmer sich nicht mehr sprachlich oder nicht-sprachlich verständigen, dafür werde aber die Farbe der Pfeile der Teilnehmerin verraten, wann ihr Partner Schmerz empfinde.
Wenn die Frauen wussten, dass der Partner Schmerzen erlitt, kam es bei ihnen in der anterioren Insel und im anterioren
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