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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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sich aus der Existenz eines Spiegelsystems für Berührung ergäben. »Wenn wir sehen, wie jemand berührt wird, verstehen wir intuitiv, dass der andere die Berührung erlebt. Wie sich zeigt, wird dann unser somatosensorisches System aktiviert, ›als ob‹ wir selbst berührt würden«, erläuterte sie. Eine Kollegin sah sie überrascht an. »Was meinen Sie mit ›als ob‹ oder ›verstehen‹? Ich spüre die Berührung tatsächlich auf meiner Haut!« Sarah-Jayne wusste mit dieser Aussage zunächst nichts Rechtes anzufangen, doch nach der Tagung gewann sie die Überzeugung, dass es etwas Besonderes mit den stellvertretenden Berührungserlebnissen dieser Frau auf sich haben müsse.
    Um die Anonymität der Kollegin zu wahren, nennt Sarah-Jayne sie »C«, doch bei uns soll sie Deanna heißen. Wenn Deanna sieht, wie andere Menschen berührt werden – vor allem im Gesicht –, manifestieren sich diese Beobachtungen bei ihr als direkte taktile Erlebnisse. Im Normalfall aktiviert der Anblick von Berührungen eine taktile Simulation, die schwächer ist als das echte Erlebnis. Doch bei Deanna könnte diese Simulation so stark sein, dass sie sie als verwirrend real empfindet. Diese Annahme überprüfte Sarah-Jayne Blakemore mit Hilfe von f MRT . Während sie die Gehirnaktivität aufzeichnete, berührte sie Deanna am Körper und zeigte ihre Filme, in denen andere Personen berührt wurden. Anschließend nahm sie das gleiche Experiment an zwölf Versuchspersonen vor, die, wie die meisten Menschen, berichteten, sie hätten keine echten taktilen Erlebnisse beim Anblick von Berührungen. Anschließend verglich die Forscherin die Aktivierungsamplitude in Deannas somatosensorischen Arealen mit denen der anderen Versuchsteilnehmer. Deanna zeigte beim Anblick von Berührungen sehr viel stärkere Aktivierungen in SI wie SII , was ihr, wenn sie sah, wie jemand anderer berührt wurde, das Gefühl gab, selbst berührt zu werden. Die normale Trennung zwischen der Wirklichkeit und ihrer Simulation war aufgehoben. Da bei Deanna die Aktivität in beiden Regionen – SII und SI – stärker war als bei der Kontrollgruppe, lässt sich schwer entscheiden, welches Areal für die unterschiedliche Wahrnehmung ausschlaggebend war. Es könnte sogar sein, dass umfangreichere und stärkere Aktivität in beiden Arealen notwendig sind, damit beobachtete Berührungen als so real empfunden werden.
    Die wichtigste Schlussfolgerung aus Sarah-Jaynes Beispiel lautet: Wenn die Simulation außerordentlich stark ist, kann sich die Grenze zwischen dem Anblick dessen, was anderen zustößt, und unserem eigenen Erleben verwischen. Bei den meisten von uns hat die Evolution in diese Spiegelsysteme eine Bremse eingebaut. Die Ergebnisse fast aller Versuchsteilnehmer fielen in einen Bereich, der anzeigte, dass sie deutliche Unterschiede zwischen Sehen und Erfahren empfanden. Interessanterweise erweist sich, dass Teilnehmer wie Deanna, die nicht genau unterscheiden können, ob sie berührt werden oder ob sie sehen, wie andere berührt werden, höhere Empathie-Werte im Davis-Test erzielen als Teilnehmer, bei denen das nicht der Fall ist. 66 Das spricht für die These, dass Menschen, welche die für die eigenen taktilen Erlebnisse zuständigen Areale aktivieren, wenn sie beobachten, wie andere Personen berührt werden, sich damit tatsächlich einen Zugang zur Empathie eröffnen. Kaltblütige Mörder dürften dagegen am anderen Extrem dieses Kontinuums angesiedelt sein.
    Männer heben sich Empathie für anständige Menschen auf, Frauen nicht
    Bislang haben wir gezeigt, dass gemeinsame Schaltkreise spontan aktiviert werden, während wir beobachten, was ein anderer Mensch erlebt, egal, ob wir den anderen kennen, wie in Tanias Studie, oder nicht, wie in unseren Experimenten. Tania fragte sich aber, was wohl geschähe, wenn wir jemanden träfen, der sich als schäbiger Charakter erwiese, und wir ihn dann Schmerzen erleiden sähen? Was wäre, wenn er sich uns gegenüber unfair verhalten hätte?
    Immer noch am Pool in der Toskana, berichtete sie mir, sie habe die Teilnemer an einem zweiten Schmerz-Experiment einzeln zum f MRT bestellt. Dort trafen sie zwei Schauspieler, die sich auch als Versuchsteilnehmer ausgaben. Vor dem Scannen spielten der Teilnehmer und die beiden Schauspieler das sogenannte sequenzielle oder iterierte Gefangendilemma V , das in der experimentellen Wirtschaftsforschung dem Test der Kooperationsbereitschaft dient. Die Regeln sind kompliziert, doch das

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