Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
Prinzip ist ganz einfach. Ein Spieler kann einem anderen Spieler Geld anvertrauen, und dieser kann sich entweder fair verhalten und dem ersten Spieler einen Teil dieses Geldes zurückgeben oder unfair und alles Geld behalten. Wichtig war für Tanias Experiment nur, dass sich die Teilnehmer möglichst emotional an diesem Spiel beteiligten. Wenn einem der andere Spieler wiederholt viel Geld zurückgibt, kann man ihn gut leiden, und wenn er wiederholt all das Geld behält, das man ihm anvertraut hat, kann man ihn nicht leiden.
Die Hälfte der Teilnehmer waren Frauen, die andere Hälfte Männer. Bei der Hälfte der weiblichen Teilnehmer waren die beiden Schauspieler Männer, bei der anderen Hälfte Frauen. Genauso verhielt es sich in der männlichen Versuchsgruppe. Die Teilnehmer glaubten, sie kämen zu zwei voneinander unabhängigen Experimenten. Im ersten Experiment spielte der Teilnehmer eine Reihe von Gefangenendilemmas mit den beiden Schauspielern. Einer der beiden Schauspieler, der Good Guy , gab dem Teilnehmer, entsprechend einem vorher festgelegten Plan, durchgängig größere Geldbeträge zurück. Der andere Schauspieler, der Bad Guy , verhielt sich unfair und gab dem Teilnehmer immer nur kleine Summen (oft auch gar nichts) zurück. Nach dem Spiel waren die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in der Tat sehr emotional und beurteilten den Good Guy als angenehm und attraktiv, den Bad Guy dagegen als unangenehm und sogar unattraktiv.
Nach dem Spiel teilte Tania ihren Teilnehmern mit, jetzt sei es an der Zeit für ein vollkommen anderes Experiment, dieses Mal im f MRT -Scanner. 67 An den Händen des Teilnehmers, des Good und des Bad Guy befestigte sie kleine Elektroden, ganz ähnlich wie bei den Paaren in ihrem ersten Experiment. Der Teilnehmer wurde in den Scanner geschoben und sah ebenfalls kleine Pfeile auf einem über ihm angebrachten Bildschirm, die ihm mitteilten, wer in dem betreffenden Versuchsdurchgang einen kleinen schmerzhaften oder schmerzlosen Elektroschock erhielt – er selbst, der Good Guy oder der Bad Guy .
In den Versuchsdurchgängen, in denen die Teilnehmer selbst den elektrischen Schlag erhielten, lokalisierte Tania deren sogenannte »Schmerz-Matrix«, die Areale, die für die Schmerzempfindung zuständig waren. Innerhalb dieser Areale konnte sie dann messen, welchen Unterschied es ausmachte, die Schmerzen eines Good oder eines Bad Guy zu sehen. Bei den sechzehn Versuchsteilnehmerinnen kam es sowohl bei den eigenen Schmerzerlebnissen als auch bei denen der Schauspieler zu heftigen Reaktionen im anterioren cingulären Kortex und der anterioren Insel. Außerdem ergab sich praktisch kein Unterschied zwischen den Versuchsdurchgängen, in denen der Good beziehungsweise der Bad Guy den elektrischen Schlag erhielt. Ganz anders war die Situation bei den männlichen Teilnehmern. Bei Männern wurden die Schmerzareale aktiviert, wenn sie wussten, dass der Good Guy den Schlag bekam. Die Amplitude dieses empathischen Miterlebens glich dem Ergebnis bei den Teilnehmerinnen. Wussten die Männer hingegen, dass der Bad Guy den Elektroschock bekam, wurden ihre Schmerzregionen nicht aktiviert. Anders als die Frauen schienen sich die Männer um das Schicksal unfairer Leute nicht zu kümmern. Mehr noch, die männlichen Versuchspersonen aktivierten sogar eine Hirnregion, in der Belohnung verarbeitet wird: Sie schienen es buchstäblich zu genießen , wenn der Bad Guy bestraft wurde!
Diese Studie ist von besonderer Bedeutung, weil sie unsere Aufmerksamkeit auf zwei wichtige Aspekte der Empathie lenkt. Erstens zeigt sie, dass Aktivierungen in gemeinsamen Schaltkreisen spontan ausgelöst werden können, dass aber die Stärke dieser Aktivierung davon abhängt, was für Gefühle wir für diese Menschen haben. Dieser Punkt wurde unlängst durch Studien bestätigt, die zeigen, dass Versuchsteilnehmer ihre gemeinsamen Schaltkreise in höherem Maße aktivieren, wenn Menschen ihres eigenen ethnischen Hintergrunds Schmerzen haben. Alessio Avenanti und sein Team an der Universität Rom fanden heraus, dass weiße Teilnehmer stärker mitempfinden, wenn ein weißer Schauspieler Schmerzen simuliert, und schwarze Teilnehmer größere Empathie zeigen, wenn ein schwarzer Schauspieler Schmerzempfinden darstellt. Tanias Gruppe in Zürich wies nach, dass auch trivialere Unterschiede ähnliche Auswirkungen haben können: Erstens haben Fußballfans mehr Mitgefühl mit den Schmerzen der eigenen Fans als mit den Fans gegnerischer Mannschaften.
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