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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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cingulären Kortex zu ganz ähnlichen Aktivierungen wie bei eigenem Schmerz. 56 Abermals erweist sich, dass das, was anderen Personen zustößt, direkt auf Regionen abgebildet wird, die für unsere eigenen Erfahrungen zuständig sind. Interessanterweise liegen die Aktivierungen, die Tania Singer entdeckt hat, an einer ganz ähnlichen Stelle wie die Aktivierungen, die wir in unseren Experimenten zur Erfahrung und Beobachtung von Ekel gemessen haben, daher ist zu vermuten, dass die Insel viele Körpergefühle repräsentiert – von Ekel und Vergnügen beim Essen bis zu körperlichem Schmerz. 49, 57, 56
    Tania hat ihren Teilnehmern auch erstmals die Davis-Skala zur Messung ihrer interindividuellen Empathie-Unterschiede (Anhang) vorgelegt und dabei festgestellt, dass die Teilnehmer mit den höchsten Punktwerten auf der Subskala »Empathische Anteilnahme« ihre eigenen Schmerzregionen am stärksten aktivierten. Die Subskala enthält Aussagen wie: »Ich würde mich als ziemlich weichherzig beschreiben«, oder: »Ich hege oft liebevolle, besorgte Gefühle für Menschen, die weniger Glück haben als ich.«
    Ist Wissen so gut wie Sehen?
    Zahlreiche Forscher unterschiedlicher Provenienz haben sich mit je anderen Ansätzen bemüht, das neuronale Substrat der Empathie zu beschreiben. Unabhängig voneinander sind wir alle zu ähnlichen Ergebnissen gekommen: Hirnstrukturen, die für die Ausführung von Handlungen und die Erfahrung von Berührung, Ekel und Schmerz zuständig sind, werden aktiviert, während wir sehen oder wissen, dass andere Personen ähnliche Handlungen ausführen oder ähnliche Ereignisse erleben.
    Der entscheidende Unterschied zwischen den Studien war die Art, wie die Versuchsteilnehmer die Emotionen anderer Menschen wahrnahmen. In unseren Untersuchungen zu Berührungen und Emotionen konnte der Versuchsteilnehmer deutlich erkennen, was der anderen Person zustieß. Er sah, wie Beine von Bürsten berührt wurden oder wie jemand das Gesicht angeekelt verzog, nachdem er den Inhalt eines Glases probiert hatte. In Tania Singers Studie sahen die Teilnehmer lediglich kleine farbige Pfeile, die auf Hände wiesen und damit zum Ausdruck brachten, dass der Partner Schmerz empfand. Während also bei den meisten unserer Studien im Labor simuliert wurde, was mit anderen Menschen geschieht, verhält es sich ganz anders in Studien wie der von Tania oder von Mbemba, in der er, wie im vorigen Kapitel beschrieben, seinen Versuchspersonen ekelerregende Geschichten darbot: 62 Dort werden Situationen simuliert, in denen die Beteiligten wissen , was ein anderer erlebt, ohne das Ereignis direkt zu sehen – etwa so, als würden Sie in einer E-Mail darüber unterrichtet, dass Ihr Partner sich geschnitten hätte. Die Tatsache, dass in allen Fällen die neuronale Repräsentation Ihrer eigenen Erfahrung aktiviert wird, bekräftigt, dass es mehr als eine Möglichkeit zur Aktivierung gemeinsamer Schaltkreise gibt. Die unmittelbare Wahrnehmung dessen, was dem anderen zustößt, mag die älteste und natürlichste Form der Eingabe in dieses soziale System sein, doch selbst das bloße Wissen um das, was jemand anders erlebt, kann ausreichen, um entsprechende Systeme zu aktivieren. Das Wissen kann von willkürlichen Symbolen oder sprachlichen Erklärungen bezogen werden. Unser empathisches Miterleben ist bemerkenswert flexibel.
    Warum berührt werden sich anders anfühlt als Berührung sehen
    Der Umstand, dass wir nur sehen müssen, wie sich unser Partner in den Finger schneidet, ist ein schlagendes Beispiel dafür, wie stark Empathie sein kann. Trotzdem sind wir uns nie im Unklaren darüber, wer tatsächlich berührt wird oder wem Schmerz zugefügt wird. Wie erwähnt, wird nur ein kleiner Sektor von SII gemeinsam für die Repräsentation beobachteter Berührungen und erlebter Berührungen verwendet. Der größte Teil von SII scheint für unsere eigenen Sinneswahrnehmungen reserviert zu sein. Außerdem wurde in unserem Experiment SI während der direkten Berührungserlebnisse stark aktiviert, bei der Beobachtung von Berührungen aber nur schwach. Diese Unterschiede könnten erklären, warum wir das Sehen und das Erleben von Berührung so unterschiedlich empfinden. Das Sehen aktiviert nur eine Teilmenge der Neuronen, die an unserer direkten Erfahrung beteiligt sind.
    Sarah-Jayne Blakemore war von dem gemeinsamen Berührungsschaltkreis fasziniert. Mir wurde berichtet, sie habe auf einer kleinen Tagung in London über die Konsequenzen gesprochen, die

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