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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern, wobei Männer sich mit Situationen auseinandersetzen müssen, in denen Empathie nicht immer förderlich ist. Beim Jagen und Streit mit feindlichen Stämmen kann Empathie hinderlich sein, doch bei Gemeinschaftsjagden und anderen sozialen Aktivitäten innerhalb des eigenen Stamms ist Empathie von Bedeutung. Bei Männern ist eine Doppelstrategie – Empathie darf, aber muss nicht sein – am günstigsten. In der Regel sind Frauen nicht an gewalttätigen Unternehmungen wie Krieg und Jagd beteiligt, sondern kümmern sich um Kinder, Kranke und Alte und beschaffen Nahrung für die Familie, indem sie Nüsse, Früchte und Gemüse sammeln. Daher brauchen sie ihre Empathie nicht so stark herunterzufahren. Nach Jahrmillionen der Evolution unter solchen Bedingungen könnten sich entsprechende Unterschiede tief in der genetischen Beschaffenheit unserer Gehirne verankert haben. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass diese Geschlechterdifferenzen nicht einfach auf der Ebene der Empathie angesiedelt sind, sondern dass die meisten Männer – trotz kleiner Unterschiede bei der durchschnittlichen Empathie 14 – genauso empathisch sind wie die meisten Frauen. Der wahre Unterschied liegt in den situativen Einflussfaktoren auf die Empathie. Wir beginnen gerade erst das männliche und weibliche Gehirn zu erforschen, und es bleibt noch viel zu entdecken, aber eines ist klar: Es gibt Geschlechterdifferenzen im Empathieverhalten.
    Solche Unterschiede besagen nicht, dass Männer und Frauen sich auf verschiedene Aufgaben konzentrieren sollten. Bei der Entscheidungsfindung ergänzen intellektuelle Fähigkeiten die bislang erörterten empathischen Mechanismen. Obwohl ein Mann den Schmerz eines unfairen Gegners möglicherweise nicht so in tensiv mitempfindet wie eine Frau, wird er möglicherweise beschließen, dem anderen keinen Schmerz zuzufügen, weil er der verstandesmäßigen Überzeugung ist, dass man anderen Menschen kein Leid antun darf. Ähnlich mag eine Frau zwar den Schmerz eines unfairen Widersachers mitempfinden, ihn aber trotzdem maßregeln, weil er ein unartiges Kind ist, das Strafe verdient hat, oder ein Verbrecher, den es zu verurteilen gilt.
    Wenn uns neuronale Unterschiede auch nicht mitteilen können, wer was tun sollte, können sie uns doch Erkenntnisse über das Seelenleben der Geschlechter vermitteln, die in Studium und Berufsausbildung von Nutzen sein könnten. Die psychologischen Geschlechterdifferenzen in der Berufsausbildung zu missachten, wäre genauso absurd, wie die anatomischen Unterschiede in der Textilindustrie außer Acht zu lassen. Männer wie Frauen können in Jeans toll aussehen – doch wenn man beim Zuschnitt gewisse anatomische Unterschiede beachtet, sind sie sehr viel bequemer zu tragen.
    Ich kann spüren, wie du dich bewegst
    Als wir uns 2008 noch einmal die 2006 erhobenen Daten ansahen, lenkte Valeria meine Aufmerksamkeit auf ein sehr interessantes Ergebnis. Unsere Versuchspersonen, unter ihnen auch Joyce, hatten im Scanner mit Gegenständen hantiert und andere bei der gleichen Tätigkeit beobachtet. Bislang hatten wir uns auf die Tatsache konzentriert, dass Regionen des prämotorischen und parietalen Kortex, die an der Handlungsplanung des Teilnehmers beteiligt waren, auch aktiv waren, während er Handlungen anderer beobachtete. Dabei war meiner Aufmerksamkeit allerdings entgangen, dass die Aktivität im parietalen Kortex beim Anblick der Handlungen anderer auf den posteriorsten Teil des primär somatosensorischen Kortex übergriff. 69 Diese Region ist nicht für unsere Handlungsplanung zuständig, sondern sorgt dafür, dass wir fühlen, wenn sich unser Körper bewegt und wir Gegenstände anfassen. Eine systematische Durchsicht aller anderen bislang veröffentlichten f MRT -Studien, in denen dieselben Versuchspersonen Handlungen ausführten und die anderer beobachteten, ergab, dass in allen Berichten festgestellt wurde, es habe unter beiden Versuchsbedingungen Aktivität in dieser Region des somatosensorischen Kortex gegeben. Doch überraschenderweise war in keinem Fall dieser Aspekt der Ergebnisse kommentiert worden. Der Umstand, dass dieselbe somatosensorische Gehirnregion aktiv war, während der Versuchsteilnehmer Handaktivitäten beobachtete und ausführte, lässt darauf schließen, dass der Teilnehmer beim Anblick der Handlungen anderer nicht nur motorische Regionen aktivierte, als plante er ähnliche Handlungen, sondern auch somatosensorische

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