Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
Kortex geschickt. VII Dieser synaptische Input trifft allerding bei den prämotorischen A- und B-Neuronen höchst unterschiedliche Situationen an. Die A-Neuronen sind zu diesem Zeitpunkt aktiv, daher wird die Synapse verstärkt, wie es die Hebb’sche Lernregel verlangt (was zusammen feuert, vernetzt sich). Die B-Neuronen dagegen sind zu diesem Zeitpunkt nicht aktiv, weil das Baby, das Handlung A ausführt, nicht gleichzeitig B ausführen kann, woraufhin diese Synapse geschwächt wird. Nach wiederholter Selbstbeobachtung während der Ausführung von A sind die Synapsen vom visuellen A-Neuron zum prämotorischen A-Neuron so stark, dass das Sehen oder Hören der Handlung ausreicht, um eines der beiden A-Neuronen im prämotorischen Kortex zu aktivieren. Dieses Neuron wird ein Spiegelneuron, während das A-Neuron, das keinen Input vom Temporallappen erhält, ein reines Motoneuron ohne Spiegeleigenschaften bleibt.
Abbildung 8.2
Bevor wir jemals Handlung A ausgeführt haben, sind die Verbindungen zwischen den sensorischen A-Neuronen im Temporallappen und den motorischen A- und B-Neuronen im prämotorischen Kortex gleich schwach. Während der Ausführung von A beobachten wir unsere eigenen Handlungen, daher sind die sensorischen A-Neuronen (fette Umrandung) zur gleichen Zeit aktiv wie die prämotorischen A-Neuronen. Da nun das, was »gleichzeitig feuert, sich vernetzt«, ist hinterher die Verbindung zwischen A- und A-Neuronen stärker als die Verknüpfung zwischen A- und B-Neuronen.
Hebb’sches Lernen könnte also erklären, wie wir den Anblick unserer eigenen Handlungen mit der Ausführung dieser Handlungen assoziieren. Doch wie hilft uns das, die Handlungen anderer zu verstehen, die wir doch in der Regel aus einer ganz anderen Perspektive sehen als unsere eigenen Handlungen? Die Antwort lautet »Blickwinkelinvarianz« (viewpoint invariance) , das heißt, viele Neuronen in höheren Arealen der Sehrinde, die parietale und prämotorische Regionen mit Input versorgen, reagieren gleich, wenn Objekte oder Menschen aus verschiedenen Perspektiven gesehen werden. 76 So reagieren diese Neuronen auch auf unsere eigenen Handlungen genauso wie auf die anderer und bewirken, dass die Assoziation, die wir während der Selbstbeobachtung gelernt haben, auf die Handlungen anderer Personen verallgemeinert wird. Bei Geräuschen ist diese Verallgemeinerung noch einfacher, weil das Geräusch, das Sie beim Zerreißen eines Papierbogens verursachen, dem Geräusch, das ich dabei erzeuge, außerordentlich ähnlich ist.
Die Entstehung von Spiegelneuronen für Handtätigkeiten lässt sich daher einfach als Ergebnis Hebb’scher Assoziationen während der Selbstbeobachtung verstehen. Um Hebb’sche Assoziationen auszubilden, müssten Kinder schon im frühesten Alter ihre eigenen Handlungen sorgfältig beobachten. Ist das der Fall? Die Antwort lautet: Ja. Kinder sind schon in den ersten Lebensmonaten von ihren eigenen Handlungen fasziniert und verbringen den größten Teil ihrer wachen Zeit damit, alle möglichen Bewegungen mit ihren Händen auszuführen und sie sorgfältig zu beobachten. 77 Falls Sie sich jemals gefragt haben, warum Babys das tun – die Antwort lautet vermutlich, dass sie eine perfekte Situation für Hebb’sches Lernen schaffen.
Der Vorteil dieser These liegt, entsprechend Hebbs ursprünglicher Zielsetzung, in der Annahme, dass an Spiegelneuronen nicht unbedingt etwas Rätselhaftes sein muss. Lediglich zwei Voraussetzungen sind erforderlich: dass es im Gehirn schwache Verbindungen zwischen sensorischen und prämotorischen Arealen gibt und dass das Kind seine eigenen Handlungen beobachtet. Im Prinzip hätte die Evolution zwei Möglichkeiten gehabt, uns mit einem Spiegelsystem zu versorgen. Der genetische Code, den Kinder von ihren Eltern erben, könnte im Zuge der Evolution alle Informationen erworben haben, die erforderlich sind, um Neuronen im Temporallappen mit entsprechenden Neuronen in prämotorischen Arealen zu verschalten. Dann würden wir mit einem perfekt funktionierenden Spiegelsystem geboren werden. Wenn wir bedenken, wie viele Handlungen Menschen wahrnehmen und ausführen können, kommen wir auf eine ungeheure Zahl detaillierter Anweisungen, die im Genom gespeichert sein müssten. Alternativ könnte das Genom im Laufe der Stammesgeschichte Erbinformationen erwerben, die für eine weitgehend zufällige Vernetzung der sonsorischen und prämotorischen Areale sorgen und sie mit Synapsen ausstatten, die zu Hebb’schem
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