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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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bei dem Erwerb gemeinsamer Schaltkreise unterstützen könnten.
    Erstens sollte die Nachahmung verstärkt werden. Im Säuglings- und Kindesalter müsste man den Autisten eine soziale Umgebung bieten, die reich an Handlungskontingenzen ist, indem die Eltern beispielsweise dazu aufgefordert werden, die Handlungen ihres Kindes häufiger nachzuahmen. Außerdem kann auch das Kind zur Nachahmung angehalten werden, wodurch es sich möglicherweise motiviert fühlt, den Handlungen, Gesichtsausdrücken und Gefühlen anderer Menschen größere Aufmerksamkeit zu schenken.
    Die Kinderpsychologin Brooke Ingersoll und ihre Kollegen an der Michigan State University haben eine naturalistische Verhaltenstherapie entwickelt, die genau diese Perspektive berücksichtigt, allerdings nur für Körperbewegungen und nicht für Gesichtsausdrücke. In der ersten Therapiephase, die ungefähr zwei Wochen dauert, ahmt der Therapeut das Spielverhalten des kleinen Patienten nach, um Kontingenzen herzustellen. Wenn das Kind mit einem Spielzeugauto spielt, beschäftigt sich die Mutter oder der Therapeut mit einer Kopie des Autos auf die gleiche Weise. Später verschafft der Therapeut dem Kind Gelegenheit zur Nachahmung, indem er neue Verwendungsmöglichkeiten des Spielzeugs demonstriert, mit dem das Kind gerade hantiert. Wenn das Kind dieses Verhalten nachahmt, wird es vom Therapeuten gelobt, der das Nachahmungsverhalten auf diese Weise verstärkt. Außerdem begleitet der Therapeut das Spiel des Kindes durch einen fortlaufenden sprachlichen Kommentar, um dem Kind zu helfen, sein Verhalten mit Sprache zu verknüpfen. Auch Gesten werden eingeführt und ihre Nachahmung durch das Kind verstärkt. 108 Alle diese Faktoren wirken gemeinsam darauf hin, die Bereitschaft des Kindes zu verstärken, seine gemeinsamen Schaltkreise in sozialen Situationen zu aktivieren.
    Zwar steckt diese Form der Therapie noch in ihren Kinderschuhen, aber sie ist genau auf die Aspekte ausgerichtet, die man nach einer Hebb’schen Theorie der gemeinsamen Schalt kreise ins Auge fassen müsste. In einer begrenzten Studie an 27 Kindern zeigte die Therapie ermutigende Ergebnisse: Das Kind neigte nicht nur in höherem Maße zu spontaner Nachahmung, sondern bediente sich auch häufiger der Sprache und richtete seine Aufmerksamkeit öfter auf dieselben Objekte wie seine Eltern (die sogenannte gemeinsame Aufmerksamkeitsausrichtung). Eltern berichteten ferner, dass sich das soziale und emotionale Verhalten der Kinder nach einer Therapiedauer von drei Monaten verbesserte.
    Besonders vielversprechend sind diese Therapien, wenn sie nicht auf die Praxis des Therapeuten beschränkt bleiben. Eltern können in den therapeutischen Techniken unterrichtet und damit in die Lage versetzt werden, den häuslichen Erfahrungshorizont des Kindes entsprechend zu bereichern. 109 Dieser Umstand ist besonders wichtig, wenn wir bedenken, dass die Probleme des Autisten sich nicht auf Nachahmung und gemeinsame Schaltkreise beschränken, sondern dass die therapeutischen Interventionen viele Bereiche der Kognition und des Verhaltens berücksichtigen müssen. Die Therapeuten müssen auch jenseits des sozialen Bereichs geistige Fähigkeiten fördern, die für den späteren beruflichen Erfolg des Autisten entscheidend sein werden. Ingersoll und ihre Kollegen führen gegenwärtig eine umfassendere Studie durch, an der sechzig Kinder beteiligt sind. Von ihr sind wertvolle Informationen über die Wirksamkeit dieses therapeutischen Ansatzes zu erhoffen.
    Abgesehen von zusätzlichen interpersonalen Interaktionen sollte auch ein großer Spiegel in der Spielumgebung des Kindes angebracht werden. Die Eltern könnten die Aufmerksamkeit des Kindes auf seinen Gesichtsausdruck im Spiegel lenken, während es positive oder negative Gefühle erlebt, wobei auf die oberen Abschnitte des Gesichts besonders hinzuweisen wäre, weil autistische Kinder die Augen häufig vernachlässigen.
    Mit Hilfe von Computern könnten visuomotorische Kontingenzen entwickelt werden. Ein Computerspiel könnte auf dem Bildschirm einen Gesichtsausdruck darstellen, und wenn es dem Kind gelänge, diesen Ausdruck in einem Zeitraum von 700 bis 1000 Millisekunden nachzuahmen, würde es mit Punkten und einem lustigen Comicfilmchen belohnt. Vor einer Webcam könnte das Kind aufgefordert werden, bestimmte Gesichtsausdrücke zu zeigen, während man ihm entweder ein Livestream seines eigenen Gesichtsausdrucks oder ein Playback früherer Gesichtsausdrücke der

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