Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
meine gemeinsamen Schaltkreise ihre Reaktionen im Sinne meines Glücksgefühls, meiner Freude über das schöne Wetter und der angenehmen Assoziationen mit dem Zikadengezirpe. Mein Fehler lag darin, diesem intuitiven Gefühl gemeinsamen Glücks zu trauen, obwohl ihr Lächeln vielleicht nur Höflichkeit mir gegenüber war.
Doch das Problem lag viel tiefer als die momentane irregeleitete Projektion meines Glücksgefühls. Wir alle leiden unter einer egozentrischen Wahrnehmungsverzerrung. Gemeinsame Schaltkreise sind keine Zauberei; sie veranlassen uns, andere Menschen im Licht unserer eigenen Handlungen, Empfindungen und Gefühle zu interpretieren. Wenn sich unser Innenleben grundsätzlich von dem unseres Gegenübers unterscheidet, veranlassen uns die gemeinsamen Schaltkreise, etwas zu fühlen, was der andere nicht fühlt. In diesen Fällen täuscht uns der Spiegel der gemeinsamen Schaltkreise. Als mir Antonellas Verhalten an diesem Tag im Auto klarmachte, wie weit meine Intuition von ihrer Geistesverfassung entfernt war, fühlte ich mich blind, verkrüppelt und verletzt – der genauesten sozialen Sinneswahrnehmung beraubt, die wir haben. Alles, was mir blieb, war ein abstraktes Regelwerk, mit dem ich durch unsere Beziehung zu navigieren und alle Krisen zu umschiffen suchte. Es hatte große Ähnlichkeit mit dem, was Autisten über ihre Gefühle bei Sozialkontakten berichten. Ich begann nun, Antonella von Zeit zu Zeit heftig zu widerspre chen, nicht, weil ich das Gefühl hatte, dass das richtig sei (ich persönlich lebe lieber in Harmonie als im Streit), sondern weil mein Bewusstsein sich die Regel zu eigen gemacht hatte: »Antonella braucht von Zeit zu Zeit einen Streit, der letzte liegt schon länger zurück, also brich einen vom Zaun.« Dieses bewusste Taktieren war nicht nur anstrengend, sondern es gelang mir auch nie so recht zu erraten, wonach ihr der Sinn stand. Wenn ich mich auf Regeln verließ, war ich mir über ihre Wünsche nie wirklich im Klaren, und es kostete mich immer große Anstrengungen, sie zu erfüllen. Nichts scheint so genau zu sein, wie einfach zu fühlen , was der andere braucht.
Seit ich mit Valeria zusammen bin, weiß ich, wie falsch die Annahme war, dieser Mangel an Affekteinstimmung sei eine normale Situation in einer engen Beziehung. Meine Intuition ist zurückgekehrt – ich spüre, wenn Valeria glücklich oder traurig ist, und ich fühle intuitiv, warum. Meine gemeinsamen Schaltkreise sind jetzt wieder wertvolle Informationsquellen. Statt – wie bei Antonella – meine Energien mit der bewussten Planung zu verschwenden, spüre ich heute, wie sie mir zufließen, wenn ich mühelos Freude und Schmerz mitempfinde. Der Mythos von der Liebe als der Wiedervereinigung zweier getrennter Seelenhälften scheint sich in der unmittelbaren Zusammengehörigkeit unserer gemeinsamen Schaltkreise zu erfüllen: Sie wird ein Teil von mir und ich einer von ihr. Bei niemandem sonst habe ich so sehr das Gefühl, dass wir Menschen soziale Tiere sind, die durch die Kraft ihrer gemeinsamen Schaltkreise miteinander verbunden sind.
Gleich und Gleich gesellt sich gern
In den letzten Jahrzehnten hat sich die empirische Forschung eingehend mit den Faktoren beschäftigt, die bestimmen, welche Partner wir attraktiv finden und von welchen wir eine glückliche Ehe erwarten dürfen. Die Ergebnisse dieser Studien hat mein bester Freund, der deutsche Psychologe und Wissenschaftsautor Bas Kast, in seinem Buch Die Liebe und wie sich Leidenschaft erklärt elegant zusammengefasst. 110 In der Alltagspsychologie gibt es zwei gegensätzliche Meinungen über Partnerschaft. Die einen sagen: »Gegensätze ziehen sich an«, mit anderen Worten, wir suchen uns Partner, die ergänzende Eigenschaften haben. Träfe dies zu, gäbe es für gemeinsame Schaltkreise in Partnerschaften ständig Probleme. Soweit es die Intuition anginge, würde Liebe wirklich blind machen. Die andere Meinung besagt: »Gleich und Gleich gesellt sich gern«, das heißt, wir suchen uns einen Partner, der uns ähnlich ist. Wäre das der Fall, würden wir gezielt nach Partnern Ausschau halten, bei denen sich unsere gemeinsamen Schaltkreise besonders gut bewährten, weil unsere Partner ähnlich denken und fühlen würden wie wir, sodass unsere Simulationen gewöhnlich zuträfen.
Es gibt zwei Gruppen von Forschungsergebnissen, die eindeutig dafür sprechen, dass Gleichartigkeit von Vorteil für ein Paar ist. Erstens scheinen Versuchsteilnehmer ähnliche Partner
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