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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Keysers
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Versuchsleiter befand. Auf dem Tisch lagen vier scheibenförmige Zielobjekte. Das Kind wurde aufgefordert, genau das zu tun, was der Versuchsleiter tat. Zunächst berührte der Versuchsleiter eines der vor ihm liegenden Ziele. Wenn er das rechte Ziel mit der rechten Hand oder das linke Ziel mit der linken Hand berührte, griffen die autistischen wie die nicht-autistischen Kinder in der Mehrzahl der Fälle nach dem entsprechenden Ziel. Streckte der Versuchsleiter dann die rechte Hand nach dem linken Ziel oder die linke Hand nach dem rechten Ziel aus, berührten die autistischen und nicht-autistischen Kindern meistens das richtige Ziel, woraus folgt, dass sie das Handlungsziel des Erwachsenen richtig verstanden hatten; doch in ungefähr der Hälfte der Fälle bedienten sich beide Kindergruppen dazu der falschen Hand – überwiegend derjenigen, die dem Ziel näher war. Sie erreichten das Ziel der Handlung, nutzten dazu aber andere Mittel als der Versuchsleiter – Mittel, die im Sinne der Zielerreichung »vernünftiger« waren.
    Dass Menschen mehr Wert darauf legen, das beobachtete Ziel zu erreichen, als die Methode der Zielerreichung nachzuahmen, konnten wir bereis an unseren ohne Arme geborenen Teilnehmern feststellen. Wenn diese die Handbewegungen anderer Menschen beobachten, aktivieren sie ihre Fußrepräsentation, was darauf schließen lässt, dass sie im Geist das Ziel der beobachteten Handlungen aktivieren, doch um es zu erreichen, das für sie geeignetste Mittel verwenden, auch wenn es nicht der beobachteten Handlung entspricht. 90 Wenn auch autistische Kinder dazu neigen, den Zielen vorrangige Bedeutung einzuräumen, analysiert ihr Gehirn die zielgerichteten Handlungen ande rer offenbar in einer Weise, die sich nicht grundlegend von der nicht-autistischer Kinder unterscheidet.
    Zwar bleibt die Fähigkeit unbeeinträchtigt, sinnvolle Handlungen nachzuahmen – etwa ein Zielobjekt zu ergreifen oder zu lächeln –, doch zeigen zahlreiche Experimente (zum Beispiel den Arm ohne erkennbare Zielsetzung so auszustrecken, dass die Handfläche mit aufgestelltem Daumen und kleinem Finger nach oben weist), dass autistische Kleinkinder leichte Defizite haben. Allerdings legen sie sich, wenn die Kinder älter werden. 97, 102
    Die Daten sagen uns also zweierlei: Autisten können Handlungen und Gesichtsausdrücke zwar nachahmen, aber weniger spontan, und die Schwierigkeiten werden mit zunehmendem Alter geringer.
    Neuroimaging kann die Aktivität des Spiegelsystems bei Autismus quantifizieren
    Mit verschiedenen Methoden (Elektroenzephalografie, Magnetoenzephalografie und f MRT ) hat man untersucht, ob das Spiegelsystem für Handlungen bei autistischen Personen weniger ansprechbar ist. Es zeigte sich, dass Autisten ihr motorisches System seltener als andere nutzen, wenn sie beliebige repetitive Handlungen sehen (etwa das ständige Öffnen und Schließen einer Hand 95 ). Hingegen verringert sich dieser Unterschied bei weniger repetitiven Handlungen – wenn beispielsweise ein bestimmter Finger in einem bestimmten Versuchsdurchgang gehoben wird. 96 Bei der Beobachtung einer zielgerichteten Handlung (der Manipulation eines Gegenstands) aktivieren sie ihr motorisches System ebenso häufig wie nicht-autistische Versuchspersonen. 103
    Mirella Dapretto und ihre Kollegen von der University of California in Los Angeles untersuchten, ob autistische Kinder geringere neuronale Aktivität in motorischen und emotionalen Hirnregionen erkennen ließen, während sie Gesichtsausdrücke beobachteten und nachahmten. 94 Dabei stellten die Forscher fest, dass nichtaustische Kinder bei der Beobachtung von Gesichtsausdrücken neben den höheren visuellen Arealen auch ihre prämotorischen und insulären Regionen aktivieren – was unseren Befunden bei Erwachsenen entspricht. 49, 57, 59 Dagegen nahmen autistische Kinder diese Regionen weniger stark in Anspruch – ein Ergebnis, das zu der Beobachtung passt, dass autistische Kinder auch in geringerem Maße zu spontaner Gesichtsmimikry neigen. In Übereinstimmung mit dem Umstand, dass autistische Kinder zu willkürlicher Gesichtsimitation fähig sind, wenn man sie auffordert, im Scanner Gesichtsausdrücke nachzuahmen, aktivierten die an der Studie beteiligten autistischen Kinder ihren visuellen Kortex, den inferioren parietalen Kortex und den prämotorischen Kortex ganz ähnlich wie nicht-autistische Versuchspersonen. Das galt jedoch nicht für die Insel und den ventral-anterioren prämotorischen Kortex,

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