Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
herausgefunden, dass die Interkonnektivität im autistischen Gehirn geringer zu sein scheint als im nicht-autistischen Gehirn. 105 Schwächere Vernetzung im Gehirn hätte weitreichende Folgen für viele Aspekte der Gehirnfunktion, würde sich aber auch auf die Fähigkeit auswirken, die Handlungen, Gefühle und Sinneswahrnehmungen anderer Menschen, die in sensorischen Hirnarealen repräsentiert werden, in die eigenen Handlungen, Emotionen und Sinneswahrnehmungen zu integrieren.
Autisten verarbeiten soziale Reize nicht nur anders, sie achten auch weniger auf diese Reize. Sie blicken anderen Menschen seltener in die Augen 93 und ziehen, im Gegensatz zu den meisten von uns, künstliche Töne der menschlichen Sprache vor. 106 Interessanterweise spielt die Amygdala, eine im Temporallappen gelegene Hirnstruktur, eine Schlüsselrolle bei der Aufmerksamkeitsausrichtung von Nicht-Autisten auf soziale Reize 107 , und diese Struktur scheint sich bei Autismus nicht normal zu entwickeln.
Wenn wir die Ergebnisse dieser Forschungsansätze zusammenfassen, spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass Autisten im Wesentlichen zwei Defizite haben. Ihr Gehirn richtet die Aufmerksamkeit weniger auf die soziale Welt aus, und es stellt weniger Verknüpfungen zwischen Prozessen her, die in verschiedenen Gehirnregionen stattfinden. Das Hebb’sche Lernen wird beeinträchtigt, folglich ist das Kind sozial weniger integriert und die Entwicklung seines Spiegelsystems verzögert. Dieser Prozess wird zusätzlich verschlimmert durch Eltern, die, von dem Mangel an Reaktionen enttäuscht, einen geringeren Antrieb zu Nachahmungsspielen mit dem Kind verspüren. Infolgedessen liefern sie weniger Lernanstöße, wo eigentlich mehr erforderlich wären. Ähnlich dürfte es sich bei der Sprachentwicklung verhalten.
Wir haben gesehen, das hemmende Hebb’sche Verbindungen von prämotorischen zu visuellen Arealen möglicherweise dafür sorgen, die eigenen Handlungen des Kindes unauffällig erscheinen zu lassen. Wenn also das Hebb’sche Lernen dieser Verbindungen verzögert stattfindet, könnten die eigenen Handlungen des Kindes abnorm auffällig bleiben. Das Händeklatschen und Schaukeln, das manchmal bei Autismus beobachtet wird, könnte darauf zurückzuführen sein, dass Autisten das Erleben ihrer eigenen Bewegungen aufregender finden, weil ihr Gehirn die sensorischen Konsequenzen dieser Tätigkeiten nicht ausblendet.
Würden Sie mich fragen, ob die sozialen Defizite des Autismus durch Probleme in gemeinsamen Schaltkreisen verursacht werden, müsste ich ehrlicherweise antworten, dass ich es noch nicht weiß. Die Daten lassen darauf schließen, dass Autismus eine Vielfalt von Primärursachen haben kann – etwa Probleme mit der Aufmerksamkeitsausrichtung und Konnektivität –, die das Gehirn ganz allgemein beeinträchtigen. Eine wichtige Wirkung dieser Ursachen könnte eine verzögerte Entwicklung der Hebb’schen Verknüpfungen sein, die notwendig für die normale Entwicklung von gemeinsamen Schaltkreisen sind. Möglicherweise erklärt diese verzögerte Entwicklung auch, dass die Nachahmungsfähigkeit verspätet erworben wird – was sich wiederum auf viele Aspekte der sozialen Kognition auswirken würde, die auf das intuitive Gefühl angewiesen sind, dass andere Menschen empfinden und handeln wie man selbst. Es ist denkbar, dass diese Verzögerung für einen Teil der sozialen Defizite des Autismus-Spektrums verantwortlich ist und auch den normalen Spracherwerb beeinträchtigt. Nach dieser Argumentation gäbe es bei Autisten sicherlich gemeinsame Schaltkreise, aber ihre Funktionen wären eingeschränkt. Beim Autismus ist der Spiegel mitempfundenen Handelns, Fühlens und Empfindens also nicht »zerbrochen«, sondern nur ein wenig beschlagen und verzögert. Therapien, die dem autistischen Gehirn helfen, stärkere gemeinsame Schaltkreise früher zu entwickeln, könnten der Entwicklung normaler sozialer Funktionen sehr zuträglich sein.
Hebb’sche Therapie könnte bei Autismus helfen
Anhaltspunkte für eingeschränkte Plastizität und Konnektivität, die zumindest bei einigen Autisten beobachtet wurden, lassen darauf schließen, dass der autistische Säugling mehr Gelegenheiten brauchte, seine eigenen Erfahrungen und Handlungen mit denen anderer zu paaren, um jenes Niveau Hebb’schen Lernens zu erreichen, das für die normale Entwicklung gemeinsamer Schaltkreise erforderlich ist. Es sind einige Therapieansätze denkbar, die autistische Kinder
Weitere Kostenlose Bücher