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Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte

Titel: Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Froehling
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ein kurzer Austausch, in der Schule vielleicht, beiseite gesprochen: »Heute Nacht war wieder was.« In abfälligem Ton.
    Das reicht, wenn der Falsche es hört.
    Es spitzt sich alles immer mehr zu, bis Schäfer es rauskriegt, und dass er es fast immer rauskriegt, begreift Wolfgang schon bald. »Man kriegt das überhaupt nicht aufgelöst«, sagt er viel später. »Man ist nur im Stress. Und das fünfzig Jahre lang.«
    Seit einem Jahr läuft in den Kinos »Das Wirtshaus im Spessart«. In den Hauptrollen Lilo Pulver als Comtesse und Carlos Thompson als edler Räuberhauptmann. Es ist einer von Schäfers Lieblingsfilmen. Am besten gefällt ihm, wenn das Komödiantenpaar Wolfgang Neuß und Wolfgang Müller als Räuber Knoll und Räuber Funzel von den Freuden des bürgerlichen Lebens träumt:
    Ach, das könnte schön sein
    Als friedlicher Bürger
    Ein ehrbares Leben
    Zu Haus zu beschließen
    Ach, das könnte schön sein
    Ein Häuschen mit Garten
    In dem ich und Frauchen
    Uns’re Rosen begießen
    Parallel zu Arbeitsdienst und sexueller Gewalt an Kindern lässt Schäfer das offizielle Leben der Privaten Socialen Mission während der Bauphase am neuen »Jugendheim« und später im fertiggestellten Gebäude filmisch dokumentieren. Und schafft damit unbewusst ein heute unschätzbares Zeitdokument: 25 Minuten aus dem Leben einer Sekte.
    Aufwendige, hoch professionelle Filmaufnahmen werden gemacht. Scheinbar aus dem Leben gegriffene Szenen. Darin scherzen vergnügte Handwerker miteinander und treiben Schabernack. Fast erwartet man, dass plötzlich auch Wolfgang Neuß und Wolfgang Müller aus dem Wirtshaus im Spessart ins Bild springen. Zu fröhlich-gemütlicher Wiener Schrammerlmusik, mit Zither wie im »Dritten Mann«, wird gemauert, tapeziert, gestrichen, getischlert; die Heizungsbauer, die Elektriker sind am Werk, und der Wald wird gerodet.
    Der unterlegte Text zum Film reimt dazu:
    Da seht ihr sie, die Schwarzarbeiter,
    nach Feierabend geht es weiter.
    Denn nach des Tages Geldverdienen
    drei Maurer jetzt dem Heimbau dienen.
    Damit das auch zu schaffen wär’
    Müssen drei tüchtige Handlanger her.
    Handlanger sind natürlich drei junge Frauen, die den drei Maurerburschen einen Teller, hochbeladen mit Wurststullen, reichen. Dazu gibt es dampfenden Kaffee, die Maurer machen erst einmal gemütlich Pause, und die jungen Männer und die Mädels scherzen eine Weile miteinander.
    Wie im richtigen Leben.
    Aber nicht im Leben der Schäfer-Sekte. Dort gibt es heitere Szenen wie diese nie. Frauen und Männer, die locker miteinander scherzen und flirten, das ist tabu. Wer so etwas in der Wirklichkeit beobachtet, muss es sofort melden. Dann werden nicht nur die bestraft, die gescherzt haben, auch die Beobachter müssen»den Teufel blamieren« und ihre innersten Gefühle und Wünsche beim Zugucken preisgeben. Denn diese Gefühle sind vom Teufel und müssen bis ins intimste Detail vor Schäfer ausgesprochen werden. Dann werden auch sie verprügelt.
    Schäfers Favoriten tauchen mehrmals auf, wie zum Beispiel »Struppi«, mit bürgerlichem Namen Hartmut Hopp:
    Der hier zuschaut, der kleine Wicht,
    ist das denn unser Struppi nicht?
    Um das fertiggestellte Jugendheim für die geladenen Gäste eindrucksvoll herauszuputzen, werden großformatige Fotos der Kinder im Garten aufgestellt. Das Bild eines kleinen Jungen in Badehose, der die Arme steil in die Höhe reckt, wird hinter dem Rettungsring am Swimmingpool angebracht:
    Ganz unbefangen, frisch und froh,
    steht Meikel da, gerade so.
    Wie unbefangen und froh der vierjährige Michael H., genannt Meikel, wirklich war, ist nicht bekannt. Während die Filmmusik schrammelt und der Erzähler beschwingt weiterreimt:
    Zwei Maler hier, ihr kennt sie sicher,
    die hängen auf Tapetentücher.
    Das geht mit ungebroch’nem Schwung
    Denn beide sind noch frisch und jung.
    … tapezieren Gerhard Mücke – der Mauk – und Karl Stricker – Kuddel – die Wände. Mit Kuddel wird sich Wolfgang Müller mehr und mehr anfreunden. Wolfgang ist jetzt dreizehn, Karl 22 und Gerhard 26 Jahre alt. Seit zehn Jahren hält Paul Schäfer die Seele von Gerhard Mücke besetzt.
    Auch sonst hat er viel in Besitz. Das Jugendheim macht den Eindruck von großbürgerlicher Gediegenheit, von Luxus fast. Sosehr, dass sie selbst nach ein paar Jahren all die Zimmer gar nicht mehr auseinanderhalten können:
    Wir wissen’s heute leider nimmer,
    war’s Teesaal oder war’s Clubzimmer?
    … reimt der Reimer frohgemut über einen Salon mit

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