Unser geraubtes Leben - Die wahre Geschichte von Liebe und Hoffnung in einer grausamen Sekte
Geheimen durchgeführt worden wären. Der gesamte Bereich der Siedlung, einschließlich aller Gebäude, auch die dazu gehörigen Kellerräume, sind ständig unverschlossen und können von jedem ungehindert zu jeder Zeit betreten werden. Alle Gebäude, einschließlich der Kellerräume, werden ausschließlich zu den jedermann bekannten Funktionen im Rahmen unserer landwirtschaftlichen Siedlung benutzt.
Es ist völlig ausgeschlossen, dass im »Fundo El Lavadero« politische Gefangene von der chilenischen Geheimpolizei festgehalten und gefoltert worden wären, ohne dass uns solche Aktionen bekannt geworden wären. Wir können darum mit Sicherheit sagen: Die DINA war zu keiner Zeit auf unserem Gelände. Hier sind weder Gefangene festgehalten noch gefoltert worden.
Parral/Chile, den 30. April 1977
51 Sektenmitglieder unterschreiben diese Erklärung, auch Mitglieder aus Gudruns Familie. Wobei von Freiwilligkeit nicht in allen Fällen auszugehen ist. Interessant ist der unnötige zweimalige Hinweis auf die Kellerräume. Doch dass im »Kartoffelkeller« gefoltert wurde, ist inzwischen erwiesen.
Dazu trägt auch die Aussage bei, die die chilenische Lehrerin Adriana Borquez am 20. Juni 1978 vor dem Bonner Landgericht macht. Genau beschrieb sie den Teelöffel, den man ihr zwischen Folterungen und Verhören zum Essen reichte. Das eingravierte Datum »Weihnachten 1953« zeigt: Dieses ist einer der Löffel, die Kindern der Baptistengemeinde in Gronau geschenkt wurden. Und die diese mitnahmen in die Colonia Dignidad.
Nun bildet sich ein »Freundeskreis der Colonia Dignidad«. DerWaffenhändler Gerhard Mertins stellt eine Liste von etwa 120 Personen zusammen, darunter der ZDF -Journalist Gerhard Löwenthal, der Bundestagsabgeordnete und Siegburger Bürgermeister Adolf Herkenrath und Erich Strätling. Sie alle waren in der Kolonie zu Gast und haben nichts Negatives zu berichten.
KAPITEL 21
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Wohltaten
Die 1980er Jahre
W enn Gudrun einsatzfähig ist, muss sie arbeiten. Hühnerstall, Kuhstall, Flaschenküche, Käserei, Wäscherei. So vergehen die Jahre. Arbeiten im Krankenhaus. Schlafen im Krankenhaus. Immer unter Aufsicht. Immer abmelden, anmelden, abmelden. Geht sie von der Tür zum Schuppen, um die Kinderwindeln zu waschen, schon kommt einer hinterher.
Die Windeln aus dem Säuglingszimmer werden vorgewaschen und erst dann zur Waschküche gebracht. Damit das Gröbste schon mal weg ist. Das ist Gudruns Arbeit. 65 chilenische Babys und Kleinkinder bis zu zwei Jahren sind auf der Säuglingsstation. Es ist viel Arbeit. Dabei macht sie sich das Kreuz kaputt, wie viele andere auch.
Windeln waschen ist keine Freude. Aber man muss das tun, was einem aufgetragen wird, denkt sie. Man muss an dem Platz nützlich sein, wo Gott einen haben will.
Das Auswringen, Ausschlagen, Hochheben, Aufhängen der Wäsche ist Schwerstarbeit bei den alten Waschmaschinen.
*
Wolfgang wird immer wieder zusammengeschlagen. Er darf Gudrun nicht sehen. Er sucht trotzdem nach ihr. Er schaut nach ihrem Fahrrad. Dann hängt er ihr irgendetwas dran, ein kleines Geschenk. Einmal ist es ein kleiner Wecker, eine Kostbarkeit.
Dr. Hartmut Hopp verordnet Wolfgang unterdessen verschiedene Tabletten. Große Mengen davon. Was sie enthalten, wirdnicht erklärt. »Das brauchst du, wenn du die nicht nimmst, geht es dir schlecht«, sagen sie und stopfen ihn voll mit den Medikamenten, bis er nur noch lallen kann. Als er den Zusammenhang begreift, behält er die Pillen im Mund, dann spuckt er sie aus. Oft machen sie Blutuntersuchungen zur Überprüfung, vermuten viele. Als sie merken, dass Wolfgang die Medikamente nicht mehr schluckt, geben sie ihm die Tabletten gemörsert, stopfen sie ihm im Vorübergehen auf dem Flur in den Mund. Wasser hinterher. Drei Monate lang. Nun bekommt er schweren Durchfall, kann sich kaum mehr auf den Beinen halten. Trotzdem nehmen sie ihm jeden Abend vor dem Schlafengehen die Kleidung ab, damit er nicht fliehen kann, packen sie in einen Sack, morgens bekommt er sie wieder. Er magert bedrohlich ab.
Mit Tricks schafft er es, den größten Teil nicht zu schlucken. Er lernt den Trick, Flüssigkeiten im Mund getrennt zu halten. So überlebt er die Tortur. Dass er es schafft, wundert viele. Nach den drei Monaten begegnet er Schäfer. Der grinst ihn an. »Na, du bist wohl dem Tod von der Schaufel gesprungen.«
In den medizinischen Aufzeichnungen wird vermerkt: drei Tage Durchfall.
Immer wieder holt Schäfer ihn zu sich. Er hält ihm eine Pistole
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