Unser Leben mit George
Fast
erwarteten wir, ihn deklamieren zu hören: »Schwachheit, dein Name ist Weib!«
Armer Anthony! Nach einem schweren
Arbeitstag kam er zu mir, in der Hoffnung auf einen romantischen Abend.
Stattdessen fand er sich einen halben Meter von mir entfernt auf dem Sofa
wieder, George zusammengerollt zwischen uns und Monster Mog auf der Lehne neben
ihm, wo sie ihre Krallen schärfte, während die Sittenpolizei in Gestalt des
neunjährigen Joshua darüber wachte, dass wir keinerlei Körperkontakt hatten. Es
war wirklich ein Wunder, dass er es so lange aushielt.
Und armer Joshua! Er trauerte um seinen
Vater, dessen Tod ihn wütend, furchtsam und verwirrt gemacht hatte. Er merkte,
dass das Leben wieder etwas besser wurde, aber nur für mich, nicht für ihn.
Hier lag das schreckliche, unvermeidliche Dilemma unserer Situation: Ich, seine
Mutter, konnte eine neue Beziehung eingehen und vielleicht sogar wieder einen
dauerhaften Partner finden, aber für ihn würde es nie einen neuen Vater geben.
Mit Udis Tod hatte er einen Menschen verloren, den man nicht ersetzen konnte.
Und das bescherte mir schreckliche Schuldgefühle.
Ich überlegte, ob ich um Joshuas willen
die Beziehung beenden sollte, aber eine innere Stimme riet mir, es nicht zu
tun. War ich egoistisch? Vielleicht. Ich zweifelte nicht daran, dass mein Sohn
oberste Priorität hatte, dass er der Sinn meines Daseins war, aber ich wusste
auch, dass ich ein Leben außerhalb des Hauses brauchte, wenn ich die nächsten
Jahre überstehen wollte, ohne verrückt zu werden. Der Verlust von Udi und
meinem Vater innerhalb von zwei Wochen hatte mir gezeigt, dass das Leben viel
zu kurz und zerbrechlich war, um es zu verschwenden. Ich musste das Glück beim
Schopf packen, wo ich konnte, um meiner selbst und um Joshuas willen. Wäre ich
unglücklich, dann hätte auch er nicht viel von mir. Außerdem, so sagte ich mir,
war Anthony ein vielbeschäftigter Mann, der seine Unabhängigkeit schätzte.
Soweit ich es beurteilen konnte, war nicht damit zu rechnen, dass wir
zusammenziehen würden. Und da er nicht gerade häufig zu uns kam, musste Joshua
sich eben mit ihm abfinden.
Aber alle Rechtfertigungen der Welt
halfen nichts, wenn ich Joshuas langes Gesicht sah oder wenn wir eine dieser
endlosen, bitteren Auseinandersetzungen hatten, die nirgendwo hinführten, oder
wenn ein gemeiner kleiner Mitschüler ihn wieder einmal gehänselt hatte, weil er
keinen Vater hatte. Besorgt darüber, dass er depressiv werden und mir die
Situation entgleiten könnte, ging ich mit ihm zu einem Familientherapeuten.
Dieser wunderbare Mann gab mir den vielleicht besten Rat, den man Eltern geben
kann: »Verstricken Sie sich nicht in sinnlose Debatten. Und vergessen Sie
nicht, Sie und Ihr Sohn sind keine Lebenspartner. In Ihrer Beziehung ist er das
Kind, Sie sind die Erwachsene. Sie müssen sagen, wo es langgeht. Das braucht
er.«
Von nun an saßen wir uns beim Essen
nicht mehr gegenüber, sondern ich nahm Udis Stuhl am Ende des Tisches ein. So
klein diese Geste auch war, sie verschaffte mir etwas mehr elterliche
Autorität. Und statt Joshua bei jedem Problem, das unsere Familie betraf, um
seine Meinung zu fragen, entschied ich nun einfach selbst und sagte ihm dann,
was wir machen würden. Zuerst rebellierte Joshua, aber bald lernte er zu
akzeptieren, dass ein Nein von mir wirklich nein bedeutete und dass es
Situationen gab, wo eine Diskussion zwecklos war.
Wenn es nur ebenso einfach gewesen
wäre, Georges Benehmen in den Griff zu kriegen!
Was Anthony betraf, so hoffte ich sehr,
dass Joshua ihn mit der Zeit doch noch akzeptieren würde. Aber selbst nach
sechs Monaten zeigte Joshua ihm bestenfalls die kalte Schulter, im schlimmsten
Fall zeigte er ihm gegenüber immer noch offene Feindseligkeit; es war genau wie
mit George und Monster Mog. Und obwohl Anthony die Güte und Geduld selbst war,
war Joshua schrecklich ungezogen zu ihm und ignorierte meine Bitte, er solle,
auch wenn er Anthony nicht gern habe, doch wenigstens höflich zu ihm sein. Doch
so weit reichte meine neu gewonnene Autorität offenbar nicht. Joshua weigerte
sich, Anthony auch nur zu begrüßen, wenn er zu uns kam. Er unterbrach ihn, sobald
er etwas sagen wollte, und ignorierte ihn, wenn er ein Gespräch anfing. Das
einzige Wort, das Joshua ihm gegenüber mit einiger Begeisterung sagen konnte,
war »Tschüs!«.
11.
Kapitel
Es war durchaus normal, dass Joshua sich
gegen meine neue Beziehung auflehnte. Ich hatte es erwartet, und
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