Unser Leben mit George
ein Segen, fast ein Wunder. Nachdem ich jahrelang allein
gewesen war oder kurze Beziehungen hatte, die immer in einer Katastrophe
endeten, hatte ich die dreizehn Jahre, die ich mit Udi geteilt hatte, sehr
genossen — sowohl das ganz normale Alltagsleben als auch die außergewöhnlichen
Momente. Ich wollte nie wieder allein sein, aber das Schicksal hatte anders
entschieden, und ich war nicht gefragt worden. Nun hatte ich Anthony
kennengelernt. Ich hatte auch keinerlei Schuldgefühle, denn Udi hatte mir vor
seinem Tod klipp und klar erklärt, dass er hoffe, ich würde bald einen neuen
Partner finden. Er hatte sogar gewettet, wer das sein würde, aber diese Wette
hatte er verloren.
Ich hatte nicht erwartet, dass ich mich
wieder verlieben würde, noch viel weniger so bald nach Udis Tod, aber jetzt war
es geschehen. Anthony war wie ein frischer Frühlingswind in mein Leben geweht.
Er war begabt, warmherzig und witzig, und er brachte mich zum Lachen. Er liebte
gutes Essen und ging gern ins Kino, dabei sah er auch noch gut aus und wirkte
männlich wie der Held eines Groschenromans. Er war nicht nur elegant und legte
Wert auf erlesene Kleidung (sein Schrank war voll makelloser Prada-Pullover und
Armani-Jacketts), er war auch noch ein Fitness-Freak, der Gewichte stemmte,
jeden Morgen joggte und sich für Rugby begeisterte. Welche Frau hätte ihm
widerstehen können?
Aber was noch wichtiger war, Anthony
hatte ein ähnliches Schicksal gehabt wie ich. Instinktiv wusste er, wie es in
mir aussah, ohne dass ich es ihm sagen musste. Und da er acht Jahre weiter war
als ich, zeigte er mir, dass das Leben nicht unbedingt zum Stillstand kommen
muss, wenn man den Partner verliert. Dass es eine Welt jenseits der Trauer gab.
Und — war es möglich? — dass diese Welt auch wieder schön sein konnte.
Ich hatte Anthony wirklich gern. Auch
mit seinen vier reizenden, intelligenten erwachsenen Töchtern verstand ich mich
gut — Lara und Alice waren von seiner verstorbenen Frau, Cindy und Justine aus
einer früheren Ehe. Aber falls ich jemals Fantasien von einem gemeinsamen
glücklichen Familienleben haben sollte, waren diese von kurzer Dauer. Denn
Joshua konnte Anthony nicht ausstehen.
Selbst zu diesem Zeitpunkt wusste ich
bereits, dass es so sein würde. Neun Monate waren eine viel zu kurze Zeit für
meinen Sohn, sich einen anderen Mann in unserem Hause auch nur vorzustellen. Er
hatte keine Ahnung, was es bedeutete, wenn dieser mehr als eins achtzig große
Gewichtheber gelegentlich zum Essen kam. Wer war dieser muskulöse Fremde, der
einmal die Woche in sein Haus kam? Wollte er den Platz seines Vaters einnehmen?
Würde er sich zwischen uns drängen? Würde er bei uns einziehen und anfangen,
ihn herumzukommandieren? In Wirklichkeit war das alles höchst unwahrscheinlich,
aber mit seinen neun Jahren konnte Joshua das nicht wissen. Er wusste nur, dass
er gerade seinen Vater verloren hatte und dass er Angst hatte, auch mich zu verlieren.
Ich versuchte, ihm klarzumachen, dass ich ihn mehr liebte als sonst einen
Menschen und dass er immer an erster Stelle kommen würde, aber meine Worte
zählten nicht.
Da Anthony ein unverbesserlicher
Optimist war, hielt er es für möglich, Joshuas Herz dennoch zu gewinnen, auch
wenn es nicht leicht sein würde. Eines Abends brachte er eine Truppe
Miniaturroboter mit und spielte zusammen mit Joshua zwei Stunden damit auf dem
Küchentisch und erklärte ihm, wie Roboter funktionieren. Für ganz kurze Zeit schien
Joshuas Eispanzer etwas aufzutauen, aber nach diesem Abend gefror er wieder.
Als Anthony ihn einige Monate später mit in das Architekturbüro nahm, in dem er
ein Partner war, und ihm die Werkstatt zeigte, in der die Modelle der
ultramodernen Gebäude hergestellt wurden, die er entwarf, hatte Joshua das nur
mit verächtlichem Schweigen quittiert.
Vielleicht hatte die heikle Situation
uns übervorsichtig gemacht, jedenfalls achteten Anthony und ich darauf, in
Joshuas Anwesenheit keine zu große Nähe zu zeigen. Selbst wenn ich in der Küche
seine Hand hielt, ließ ich sie wie ein glühendes Stück Kohle fallen, sobald
Joshua missmutig die Treppe heraufgestapft kam; und wenn wir nebeneinander auf
dem Sofa saßen, fuhren wir auseinander wie zwei gleichpolige Magnete, sobald
mein Sohn argwöhnisch ins Wohnzimmer platzte. Aber alles das trug nicht dazu
bei, unsere schwierige Situation zu verbessern. Wenn Anthony bei uns war,
schlich Joshua im Hause herum wie Hamlet in der Burg von Helsingör.
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