Unser Mann in London
deutschen Fußballern auch 60 Jahre nach Kriegsende partout noch die Kampfroboter sehen. Und ich fürchte, die furcht- wie skrupellose physische Spielweise der deutschen Nationalelf in den Achtzigern tat einiges dazu, das Vorurteil zu bestätigen.
So wurde Deutschland für England im Fußball der geliebte Feind. Für Deutsche dagegen war England auch nichts anderes als Österreich; ein Gegner, der es offenbar etwas mit der Rivalität übertrieb, den man dafür aber eher bestaunte als verteufelte. Doch bei den Deutschen, die nach London kamen, konnte ich erkennen, wie das Wissen über die englischen Vorbehalte ihr Verhalten prägte. Die meisten Deutschen in London wollen nicht als Deutsche erkannt werden – und kurioserweise am wenigsten von anderen Deutschen. Ich habe das Phänomen an mir selbst beobachtet.
Hören Italiener im Ausland irgendwen italienisch reden, begrüßen sie ihn überschwänglich. Amerikanische Touristen bleiben stehen, wenn sie anderen amerikanischen Touristen begegnen, und reden über die Heimat. Spanier kennen nach einigen Wochen in London vor allem andere Spanier. Wenn ich im Café plötzlich jemanden Deutsch reden hörte, trat ich automatisch in eine höhere Phase der Konzentration, um angestrengt und vermeintlich natürlich in eine andere Richtung zu starren. So geht es vielen von uns: Uh, bloß nicht als Deutscher erkannt werden! Fragt ein deutscher Tourist einen Passanten nach dem Weg zum Victoria & Albert Museum, antwortet der Passant auf Englisch, obwohl er selbst Deutscher ist. Das Gefühl, als Deutsche unbeliebt zu sein, kriegen etliche Londondeutsche nicht aus dem tiefsten Winkel ihres Unterbewusstseins heraus, selbst wenn sie in London schon lange zu Hause sind und mit Engländern gar ausgelassen Scherze über ihre Nationalität treiben.
Deutsch-englische Fußballspiele mit all ihrem Kriegsgeheul wühlen diese Verunsicherung immer wieder auf. Doch gewährte mir die wunderbare deutsch-englische Fußballfreundschaft gleichzeitig wie kaum ein anderes Ereignis einen tiefen Einblick in englische Ideale und Ideen: Anhand dieser Spiele verstand ich, mit welcher Hingabe Engländer ihre Geschichte pflegen, ich lernte, dass in diesem Land der tragische Verlierer eine Heldenfigur ist und man über alles lachen sollte, vor allem über das eigene Missgeschick. Als Erstes jedoch bemerkte ich verblüfft, was für eine unterschiedliche Perspektive man nur aufgrund seiner Nationalität auf ein und dasselbe Ereignis haben kann.
Ich war neu in London und hatte mich schon daran gewöhnt, von quasi jedem auf ein Weltmeisterschaftsfinale 17 Jahre vor meiner Geburt angesprochen zu werden. «Weißt du noch, wie wir euch 1966 im Endspiel vom Platz fegten?» Irritiert war ich nur, als sich die Beschwerden über Andi Möller und seinen
Pfau
häuften. Ich hatte keine Ahnung, worüber die Engländer redeten.
Vor dem Wembleystadion kurz bevor Deutschland wieder die Engländer besiegt.
«Was Möller tat, war eine Schande. Oder läuft das bei euch Deutschen unter Humor?»
Langsam kam die Erinnerung zurück. Andreas Möller hatte im Europameisterschafts-Halbfinale 1996 in Wembley den letzten Elfmeter verwandelt, wieder war England im Elfmeterschießen gescheitert, wieder an Deutschland. Möller stemmte in einer spontanen Siegerpose die Hände in die Hüften und drückte die Brust heraus. Niemand in Deutschland maß der Geste irgendeine Bedeutung bei. In England grub sie sich als
Möller macht den Pfau
ins kollektive Gedächtnis. Er habe – das Schlimmste – verzweifelte Verlierer noch verhöhnt!
Die Wahrheit ist wohl, dass sich Möller überhaupt nichts bei seiner Pose dachte. Doch aus ihrer nationalen Perspektive gingen die Engländer davon aus, dass die Deutschen die Rivalität mit derselben Inbrunst wie sie betrieben. Es schien ihnen, als wäre in der Ekstase des Sieges mal wieder der hässliche Deutsche hervorgekommen.
Ein Sieger in England wird nicht nur am Glanz seines Erfolgs, sondern auch an seinem Verhalten gegenüber den Verlierern gemessen. Der Handschlag nach dem Kampf, zurückhaltende Jubelgesten in der Nähe des Bezwungenen und großzügige Worte über diesen in der Pressekonferenz gelten als obligatorische Details eines würdigen Triumphs. Denn in England, scheint mir, erinnern sich noch mehr Leute als in Deutschland daran, dass es in diesem Spiel zwangsläufig Verlierer gibt. Als Fußballer beim VfB Stuttgart erlebte mein Freund Thomas Hitzlsperger, wie nach einer Niederlage
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