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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Volz
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Fans den Mannschaftsbus blockierten und brüllten: «Wir schlagen euch alle tot!» In England stieg Hitz mit West Ham United aus der ersten Liga ab und fand es unglaublich: Die eigenen Fans stifteten applaudierend Trost.
    Dieser menschlichere Umgang mit den Unterlegenen hat sogar einen unwahrscheinlichen Helden geboren, den tragischen Verlierer. Gareth Southgate, der Pechvogel, der im EM -Halbfinale 1996 unmittelbar vor Andi Möller den Elfmeter für England verschoss, wurde nicht verdammt, sondern mit Post von Landsleuten überschwemmt, die ihm Zuspruch gewähren oder einfach das Leid mit ihm teilen wollten. Gemeinsam mit Englands anderen beiden Elfmetergeschädigten Stuart Pearce und Chris Waddle, die 1990 im WM -Halbfinale gegen Deutschland aus elf Metern nicht getroffen hatten, trat Southgate einige Monate später in einem lustigen Werbespot für Pizza auf. In Deutschland hätten sich viele echauffiert: «Wegen denen sind wir im Halbfinale rausgeflogen, und jetzt machen sie auch noch Geld mit ihrem Versagen!» In England startete ein Boulevardblatt die Umfrage: Dürfen die das? «Und ich bekam mehr Zustimmung als die Queen bei solchen Meinungsumfragen», erzählte Southgate. Die Leute freuten sich, dass Southgate, Pearce und Waddle wieder lachen konnten. Vor allem begeisterte die englische Öffentlichkeit, dass die drei über ihr eigenes Unglück lachen konnten. Das ist vielleicht nicht die höchste, aber die tapferste Form des englischen Humors.
     
    Als ich Ende der Neunziger nach London kam, war die englische Besessenheit von den Deutschen wegen ebenjener zwei Niederlagen im Elfmeterschießen auf dem Siedepunkt.
    «Da waren acht deutsche Bomber in der Luft. Und die RAF aus England, die RAF aus England …»
    Sicherlich meinten es nicht alle lustig, die den Schlachtgesang beim Weltmeisterschafts-Qualifikationsspiel im Oktober 2000 in Wembley anstimmten. Ganz sicher aber fanden es nicht alle Deutschen lustig, die den Gesang hörten. Es war ungefähr zu jener Zeit, als der deutsche Botschafter in London beklagte, die Engländer sollten endlich einmal ihr Deutschlandbild überprüfen, und der britische Botschafter in Berlin antwortete, die Deutschen sollten bitte nicht immer so empfindlich reagieren.
    Ich kann nachvollziehen, dass sich Deutsche, die keinen Kontakt zu Engländern haben, von diesem Kriegshumor angegriffen fühlen. Ich habe allerdings auch den Eindruck, dass Engländern, die den Krieg noch selbst miterlebten, solche Späße nicht über die Lippen kommen. Erst mit dem Abstand von Jahrzehnten haben spätere Generationen den Weltkrieg als Thema entdeckt, um die Deutschen aufzuziehen. In Deutschland passierte nach der Wiedervereinigung etwas Ähnliches, als plötzlich ein Entertainer wie Harald Schmidt im Fernsehen Witze mit dem Klischee vom diebischen Polen reißen konnte. Das wäre in den Achtzigern undenkbar gewesen. Man kann solchen krassen Humor geschmacklos finden oder als Zeichen von Völkerverständigung werten: Wenn man sich so necken kann, muss man sich doch mögen.
    Als der deutsche Stürmer Uwe Rösler Mitte der Neunziger mit seinen Toren für Manchester City zum Lokalhelden wurde, druckten City-Fans T-Shirts mit der Aufschrift: «Uwe Röslers Großvater zerbombte Old Trafford», das Stadion des Stadtrivalen Manchester United. Rösler reagierte mit bestem englischem Humor. Er kaufte seinem Opa ein T-Shirt.
    Ich lernte in meinen Jahren in London, warum die Krassheit ein essenzieller Teil des britischen Humors ist: Im Spaß darf man Sachen aussprechen, die man sich sonst nicht zu sagen traut. Humor ist auch ein Ventil zum Luftablassen. Wir Deutsche sollten uns wegen der extremen Fußballrivalität der Engländer nicht zu wichtig nehmen: Dasselbe Spiel treiben sie mit den Australiern im Kricket oder den Franzosen im Rugby.
    In Wembley im Oktober 2000 allerdings war ich als Opfer der englischen Gesänge bei weitem noch nicht so gelassen, wie ich hier schreibe. Nachdem Deutschland das Spiel 1:0 durch ein Freistoßtor von Didi Hamann gewonnen hatte, stellte ich mir im Siegesglück vor, wie ich am Montag mit meinem Deutschland-Trikot zum Arsenal-Training erscheinen würde. Aber das tat ich dann lieber doch nicht.
     
    Wie alle englischen Fußballfans wissen, hatte jene WM -Qualifikationspartie auch ein Rückspiel. Deutschland verlor in München 1:5 gegen England. Vor dem Spiel hatte die
Sun
eine Blaskapelle in Lederhosen vor dem Hotel der deutschen Elf aufmarschieren lassen, um den Spielern den

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