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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Volz
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Früchten und einer fetten Zuckerglasur. Ich freute mich über die Geste und wunderte mich, als es bei einer Hochzeit im Mai, bei einem Geburtstag im Juli und einer Taufe im Oktober erneut den
christmas pudding
gab. Nein, entrüsteten sich meine englischen Freunde, das seien ein
wedding cake
, ein
birthday cake
und ein
christening cake
. «Aber es ist doch immer derselbe Kuchen», entgegnete ich.
    Oh nein, der
christmas pudding
sei, im Gegensatz zum
wedding cake
, mit einem Hauch Brandy gebacken, hätte ich den Unterschied nicht geschmeckt? Und der
christening cake
schmecke in der Regel etwas trockener als der
wedding cake
. Denn der Rest vom
wedding cake
wird aufgehoben, eingefroren und in einem schönen Brauch Jahre später zur Taufe der Kinder serviert.
     
    Die international berüchtigte englische Küche müssen Besucher in London heute allerdings lange suchen. In der Stadt, in der die ganze Welt zu Hause ist, gibt es in den meisten Pubs mittlerweile thailändisches Essen. Es gibt bessere italienische Restaurants als in Italien, es existieren dominikanische, äthiopische oder burmesische Lokale, wo doch Dominikaner, Äthiopier oder Burmesen glaubten, sie hätten gar keine nationale Küche. Und natürlich gibt es Restaurants mit köstlichem britischem Essen. Sogar das Salzgefäß wird auf den Tisch gestellt. Der Favorit der Engländer ist mittlerweile allerdings das indische Essen – mit indischen Gerichten, von denen in Indien noch nie jemand gehört hat. Chicken Tikka Masala, gegrilltes mariniertes Hühnerfleisch in Currytomatensoße, entstand der Legende nach, als indische Köche in Großbritannien ihr gegrilltes Hähnchen ohne Soße servierten und die englischen Gäste monierten, ob sie nicht, wie zu jedem Fleisch, Gravy dazu haben könnten.
     
    Der moderne Fußballprofi achtet ganz genau auf seine Ernährung, er weiß, dass er viel frisches Obst und Gemüse, kein fettes Fleisch und zusätzlich jede Menge Mineralstoffe zu sich nehmen muss. Und dann hält er nach dem Training an der nächsten Tankstelle und kauft sich eine ganze Packung industriell hergestellter Donuts.
    Ich erlebte Spieler, die irgendwo gehört hatten, Hülsenfrüchte seien wegen ihres hohen Eiweißgehalts ein integraler Teil der Ernährung, und die dann glaubten, sie könnten nur noch Brot mit Rosinen essen. Andererseits gab es Spieler in Fulham, die zwei Stunden vor einem Spiel noch drei Schokoladenmuffins mit Erdbeermarmelade in sich hineinstopften.
    Wie die meisten Profis war ich ständig zwischen diesen Extremen hin und her gerissen. Man hat uns eingeimpft, dass wir den ganzen Tag ein Profi sein müssen, auch im Schlaf, beim Essen sowieso, und so war ich oft professionell am Rande der Besessenheit. Einmal besuchte ich in den Sommerferien ein Athletikzentrum in den Vereinigten Staaten, wo mir ein Ernährungsberater mit allen Details und charmanter Logik darlegte, dass ein Sportler idealerweise alle drei Stunden etwas esse. Über zwei Jahre lang versuchte ich, mich sklavisch daran zu halten. Ich stand an Spieltagen um acht auf, obwohl ich gerne noch geschlafen hätte, aber ich musste doch in den Drei-Stunden-Essensrhythmus kommen. Ich kaufte mir hektisch am Bahnhofskiosk ein Sushi-Take-away, weil die Uhr auf die Drei-Stunden-Grenze zutickte. Ich aß nicht mehr, wenn ich Hunger hatte, sondern wenn mich der Ernährungsplan dazu zwang. Die angeblich sportlergerechte Ernährung wurde eine viel größere Belastung als eine Hilfe.
    Solche Phasen, alles ganz richtig, alles unbedingt für den Sport tun zu wollen, wurden jedoch immer wieder von der Einsicht unterbrochen, nicht alles so superernst zu nehmen. Dann aß ich Schokolade, Kuchen und Scones mit
clotted cream
sowieso und fand, mit etwas Lockerheit gehe es doch besser.
    Als Sportler ist es nicht einfach, einen natürlichen Umgang mit dem Essen zu finden. Mittlerweile versuche ich, mit Gelassenheit und Genuss zu essen, ich weiß, wenn ich ein paar Grundregeln einhalte – ausgewogene und frische Zutaten –, werde ich nicht so viel falsch machen. Aber im Profisport ist es schwierig, sich der Besessenheit zu entziehen. Ein Mannschaftsarzt, ein Betreuer, ein Mitspieler meint immer den neuesten Schrei in der Ernährung entdeckt zu haben. Gerade geht der Hype im Fußball um, wie wichtig doch die Omega-3-Fettsäuren aus Fischölen für den Körper seien. Natürlich kann ich für mich relativieren: Du isst doch regelmäßig Lachs und Thunfisch. Aber ein schlechtes Gewissen bleibt immer:

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