Unser Mann in London
dazugehörigen Minidosis Milch und Plastiklöffel. So gewöhnen sich schon die Kinder daran, sich durch den Tag zu snacken. Die Erwachsenen machen damit weiter, ihr Tagesmenü besteht aus hier mal schnell ein Sandwich und dort eine Pizza. Wenn die Familie abends schließlich doch einmal am Essenstisch zusammenkommt, wird oft Supermarktessen serviert, das nur noch aufzuwärmen ist.
Das alles mag einem auch in Deutschland oder Holland bekannt vorkommen. Die Ausmaße, die das Nichtkochen in Großbritannien angenommen hat, bleiben jedoch selbst in deutschen Studentenwohnheimen unübertroffen.
Die Supermärkte von Marks & Spencer sind Tempel dieses mühelosen Essens. Wenn man durch die Tür schreitet, ist es, als trete man in den Kühlschrank der Zukunft. Klimaanlagen halten die Temperatur so niedrig, dass manche Verkäufer Handschuhe tragen und ich mich frage, wie viele von ihnen sich täglich mit Erkältungen krankmelden. Aber die Temperatur muss so niedrig sein, weil bei Marks & Spencer frisches Obst, Gemüse oder Fleisch schon fertig geschnitten, niedlich in Klarsichtfolie verpackt in den Regalen liegt. Für Touristen scheint es ein Paradies: Die Ananas schon säuberlich geschält und appetitlich in acht Stückchen geschnitten, sodass sie die Frucht problemlos auch ohne Besteck beim spontanen Picknick im Hyde Park essen können. Bloß sind die meisten Kunden bei Marks & Spencer keine Touristen, sondern Londoner, die sich daran gewöhnt haben, dass Salat schon geschnitten und gewaschen aus Plastikbeuteln kommt und eine Lasagne nur zwei Minuten dauert, in der Mikrowelle. Ist es eine Überraschung, dass dieselben Kunden irgendwann zu bequem sind, einen Wolfsbarsch zuzubereiten? Beziehungsweise die meisten gar nicht mehr wissen, wie das geht?
Jamie Oliver wurde teilweise verspottet, weil er in seinen Kochsendungen die simpelsten Rezepte vorführte. Wie koche ich ein Omelette? Ich fand sein Engagement, die Engländer wieder mehr zum Kochen zu animieren, mutig und ehrenwert. Er startete auch eine Kampagne,
Feed Me Better
, um das englische Schulessen zu verbessern. Statt konserviertes Fleisch mit den täglichen Pommes frites gab es Spaghetti mit Tomatensoße oder Fisch mit Kartoffelbrei. In die Tomatensoße hatten die Köche sieben oder acht verschiedene frische Gemüsesorten wie Zucchini und Karotten gemischt, und den Fisch gab es in Kokosnusscurrysoße, damit die Kinder nicht merkten, wie viel vom einst unbeliebten Gemüse und Fisch sie aßen. Die Resonanz war in jeder Hinsicht erstaunlich. Nach einer Untersuchung der Universität Oxford verbesserten sich die Schulleistungen der Kinder deutlich, die Olivers Menü wählten. Leider standen vor denselben Schulen einige Mütter, um ihren Kindern durch den Gitterzaun heimlich Kebabs und Pommes frites zuzustecken, damit sie dieses schrecklich gesunde Essen nicht verzehren mussten.
Im Ausland hat die englische Küche einen Ruf wie deutsche Touristen in Tennissocken und Sandalen. Wenn ich mich heute beim FC St. Pauli am Frühstückstisch umschaue, muss ich allerdings sagen, wir Deutschen sollten vorsichtig sein, bevor wir das Essen anderer kritisieren. Denn bei St. Pauli gibt es Fußballer, die Brötchen mit Salami und Nutella essen. Allerdings muss ich auch ganz leise sagen: Die Skepsis gegenüber dem traditionellen englischen Essen hat ebenfalls ihre Berechtigung. Nach altenglischer Vorstellung gehört es sich offenbar, Gemüse und Nudeln grundsätzlich zu verkochen, bis sie auf der Gabel zerfallen. Salz und Pfeffer werden in britischen Haushalten nur im äußersten Notfall angewendet. Das Gemüse, aber auch Pasta, Reis, gar Pommes frites werden ungesalzen serviert. Salat wird trocken, ohne Essig und Öl, gegessen.
Das alles fördert nicht gerade ein geschmacksintensives Essen auf den Tisch.
Die Engländer kennen auch nur drei Soßen, die Gravy, die beim Sunday Roastbeef über Fleisch, Kartoffelbrei und überhaupt alles gegossen wird, dann die Pfefferminzsoße zum Lammbraten und Ketchup. In Fulham schütteten manche Spieler Ketchup auf die Lasagne, auf den Kartoffelbrei und den Schinken. Nicht, dass ich ein Fan der deutschen Eigenart wäre, jedes Fleisch in Soßen zu ertränken, aber die englische Soßenarmut spricht doch für eine gewisse Monotonie der traditionellen Küche.
Oder sah ich nur nicht, wie abwechslungsreich das Essen in Wirklichkeit war? Zu Weihnachten bekam ich von den Flints einen
christmas pudding
geschenkt, eine Art Stollen mit getrockneten
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