Unser Mann in London
und machte dabei eine unerwartete Entdeckung: Diese unbeschwerte Spielerei in den Medien half mir, besser mit dem Bierernst des Profisports zurechtzukommen.
Die Leichtigkeit bleibt in diesem Beruf schnell auf der Strecke. Ich hatte zu viele Abende hinter mir, an denen ich gerne mit Anneke ausgegangen wäre, aber stattdessen um 22 Uhr 30 ins Bett ging, weil am nächsten Tag doch Training war. Ich hatte zu viele Nachmittage mit schlechtem Gewissen verbracht, nur weil ich Berge von
clotted cream
auf die Scones geschmiert hatte. Ich hatte zu viele Tage mit Freunden zusammengesessen und nicht zugehört, weil ich nur an die verzogene Flanke im Spiel gegen Blackburn denken konnte. Da war ständig dieser Druck im Hinterkopf, was ich noch besser machen müsse, was ich noch erreichen wollte, und dabei vergaß ich, wie es sich anfühlt, zufrieden zu sein.
Die Rolle, in die mich die Medien als Mann auf dem Fahrrad drängten, bot mir die Chance, den Spaß an meinem Beruf wiederzuentdecken. So wurde ich der lustige Deutsche.
Ich bastelte mir eine Internetseite und schrieb dort einen deutsch-englischen Sprachführer mit Redewendungen, die englischen Fans während der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland von Nutzen sein konnten:
Where can I get my mullet highlighted?
Wo kann ich mir meine Vokuhila-Frisur blondieren lassen?
Can I wear my sandals without socks?
Kann ich meine Sandalen ohne Tennissocken tragen?
My lederhosen are a little itchy.
Mir juckt’s in der Lederhose.
Can you tell me your favourite joke?
Was ist dein Lieblingswitz?
What do you mean, you don’t know any?
Was soll das heißen: Du hast keinen?
Where can I get a cup of tea?
Wo kann ich einen Tee trinken?
Have you been practicing penalties?
Habt ihr Elfmeterschießen geübt?
Can I change my plane ticket for an earlier departure date?
Ich brauche einen früheren Rückflug.
Auf www.volzy.com gab ich den Engländern eine Übersicht der Dinge, die wir Deutschen besonders gut beherrschten: Röntgenstrahlen-Untersuchungen, Rückwärtsgehen, Kirschkernweitspucken. Ich berichtete über die Geschenke, die ich zum 23. Geburtstag erhalten hatte: ein beängstigendes japanisches Küchenmesser, einen Kartoffelschäler und ein Reflektoren-Hosenband zum Radfahren. Ich überlegte, ob ich mir zum Radfahren statt der bei Radlern in London üblichen Neonweste das neongelbe Trikot unseres Westlondoner Rivalen FC Chelsea kaufen sollte, mit Nummer 13, BALLACK auf dem Rücken. Wenig später bat mich die
Times
, als Kolumnist für sie zu arbeiten.
Ich schrieb über meinen Versuch, Kricket zu verstehen, darüber, wie in Kindertagen meine Lederhosen von einem Überraschungsei in der Hosentasche ruiniert wurden, und stellte die «unersetzlichen Verhaltensregeln für einen Profi» auf: «Jeder Fußballer, der aus dem Mannschaftsbus tritt, muss Kopfhörer tragen und grimmig schauen. Jeder Trainer, der im FA -Cup auf einen unterklassigen Gegner trifft, muss diesen als ‹gut organisiert› beschreiben.»
Die Engländer grüßten mich enthusiastisch: Endlich ein lustiger Deutscher! Dabei war ich bloß englisch geworden. Ich griff ihren Humor, ihre Selbstironie auf und spielte mit den Klischees, die Engländer Deutschen anhängen.
Etwa zur selben Zeit etablierte sich Henning Wehn als selbsternannter «Deutscher Komik-Botschafter» in der Londoner Comedy-Szene. Auch er verkörperte das Klischee der Deutschen in England, auch er stieß auf heitere Resonanz.
Dabei erschütterten weder Wehn noch ich das Bild vom humorlosen Deutschen; im Gegenteil, wir festigten es: Wir waren die Ausnahme,
ein
lustiger Deutscher. Und indem wir die gängigen Klischees überzeichneten, bestätigten wir sie allein durch ihre Erwähnung auch wieder. Wirklich lustig kann ein Deutscher in London nur sein, wenn er immer wieder auf Bratwürste, Mülltrennung und Nazis zurückkommt.
Im Bombenmachen waren wir Deutschen ähnlich gut wie im Kirschkernweitspucken, klärte ich die Briten auf meiner Webseite auf. Den Sprung mit Anlauf ins Schwimmbecken namens
Bombe
, meinte ich. Arschbombe nennen wir es in Deutschland. Das stimmt übrigens: dass wir im Bombemachen wirklich gut sind. Und im SMS -Nachrichten-Schreiben. Kein Volk schreibt mehr als wir.
Einige Tage nach meiner Kolumne über Kricket bekam ich einen Anruf. «Marylebone Cricket Club hier», sagte die Stimme des professionell freundlichen Sekretärs in der Telefonleitung. Ich duckte mich instinktiv. Aber statt mich für meine ignorante
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