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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Volz
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Kolumne zu beschimpfen, wollten sie mich zu einem Spiel in die Ehrenbox einladen. Der Vorsitzende des Klubs Keith Bradshaw höchstpersönlich werde sich an meine Seite setzen, um mir den Sport näherzubringen.
    Ich dachte, dieser Hut wäre cool. Zum ersten Mal beim Kricket, im legendären Marylebone Ground.
    Ein Mitspieler in Fulham, der Neuseeländer Simon Elliott, hatte mir Kricket schon einmal erklärt, als wir zufällig ein Spiel im Fernsehen schauten. Ich hatte oft «Aha» und «Ach so» gemurmelt und nichts verstanden.
    Zur Einladung ins Marylebone-Kricket-Stadion zog ich nach der Mode der Saison eine rosa Krawatte zum Anzug an und nahm meinen weißen Panamahut mit. Nach meiner Vorstellung trugen beim Kricket alle Hüte, die Spieler wie die Zuschauer. Als ich mit Anneke im Stadion am Regent’s Park eintraf, fiel mir wieder ein, wo das mit den Hüten hingehörte: In Cheltenham beim Pferderennen trug man Hut. Gespielt lässig versuchte ich meinen in der Hand hinter meinem Oberschenkel zu verstecken. Außer mir sah ich niemanden mit Hut.
    «Oh, ich sehe, Sie haben sich gut vorbereitet», sagte der Klubvorsitzende Keith Bradshaw enthusiastisch, als er mich begrüßte. Ich lächelte freundlich. Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach. «Die Krawatte», sagte er komplizenhaft.
    «Ja?», sagte ich.
    Er trug seine im exakt selben Rosa-Ton.
    Ich wurde etlichen Leuten vorgestellt, die absolute Größen des Kricketspiels waren. Vermutete ich jedenfalls. Ich hatte keine Ahnung, wer sie waren. Sie waren geschickter in der Begrüßung. Sie taten so, als hätten sie schon viel von mir gehört.
    «Großartige Krawatte», sagten sie und zwinkerten mir zu.
    Ich bekam einen Pimm’s in die Hand gedrückt und traute mich nicht, ihn abzulehnen. Das Getränk war wie ein Essen im Glas. Eine Schorle mit etwas Gin und sehr vielen Fruchtstücken. Zu meiner Überraschung schmeckte es vorzüglich.
    «Es ist großartig von dir, diese Krawatte zu tragen», sagte ein Mann neben mir. Dann ging das Spiel los.
    Es war ein
Twenty20 match
zwischen den Grafschaften Middlesex und Essex. Ein
Twenty20 match
schien eine Art Schnellkricket zu sein. Es ließ sich an einem einzigen Abend zu Ende bringen. Ein Testmatch, die traditionelle Spielform, zog sich über mehrere Tage. Kricket war das Spiel der britischen Kolonialherren gewesen, und man kann sich gut vorstellen, warum. In der Öde der heißen Tage in irgendeinem fernen afrikanischen oder asiatischen Nest passte das Tempo des Spiels sicherlich bestens zur gelangweilten Trägheit der Kolonialherren. Ein
Twenty20 match
dagegen sollte in unserer rasenden Epoche der Videoclips und permanenten Kicks zeitgerechter sein. Es dauert drei Stunden.
    Die Basis des Spiels ist, dass jede Mannschaft 20 Schläger stellt – Moment. Oder waren es 20 Bowler? Ich habe es schon wieder vergessen.
    Aber ich war im Stadion in Marylebone voll auf das Spiel fokussiert und sparte nicht mit neugierigen Fragen. Wer von den beiden Männern im Jackett sei denn der Schiedsrichter? «Beide», antwortete Keith Bradshaw.
    Und was passiere, wenn bei diesem aufgestellten Hölzchenturm das obere Hölzchen, vom Kricketball getroffen, herunterfalle? Genau darum gehe es in diesem Spiel, sagte Bradshaw und ließ sich seine Verzweiflung über diesen verlorenen Fall neben ihm nicht anmerken.
    Warum spiele Middlesex denn in Rosa statt wie üblich in Blütenweiß, fragte ich weiter. Da musste Bradshaw erstmals um Fassung ringen. Er sagte nichts, aber aus seinem Blick, meinte ich, sprach Verwirrung. Ich hatte doch selbst eine rosafarbene Krawatte gewählt – doch sicher auch, um wie das Team von Middlesex und so viele in Rosa gekleidete Ehrengäste meine Solidarität mit der Wohltätigkeitsorganisation
Breakthrough Breast Cancer
zu bekunden. Oder?
    Ich musste mich langsam anstrengen, aufmerksam zu bleiben. Ein Bowler warf, ein Schlagmann versuchte den Ball zu erwischen, dann wiederholten die nächsten Spieler dieselbe Szene. Vor meinen ungeübten Augen glitt das Match in einen monotonen Drill ab. Nach 20 Minuten fühlte ich mich erlöst. Ich hatte etwas verstanden, nämlich, dass es anders als beim Fußball beim Kricket offensichtlich nicht darauf ankam, jede Bewegung der Sportler zu verfolgen. Die anderen Zuschauer widmeten sich schamlos ihren Gesprächen. Das Stadion war mit 20000 Besuchern ordentlich gefüllt, und das Zirpen und Summen einer großen Picknickwiese lag über den Tribünen. Ich brauchte offenbar kein schlechtes Gewissen

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