Unser Mann in London
benötigen, sondern immer nur seinen Blackberry. Bei Personalkürzungen in seiner Firma hatte es ihn gerade erwischt, aber wie die meisten Investmentbanker in London schien Leddy daran gewöhnt, dass seine Karriere gelegentlich von ein paar Monaten Arbeitslosigkeit unterbrochen wurde. Danach ging es dann unvermittelt wieder mit einem 14-Stunden-Job weiter. Wer sich mit Hausse und Baisse beschäftigte, musste es hinnehmen, denselben Gesetzen vom ständigen Auf- und Abschwung ausgeliefert zu sein.
Der Zeitpunkt war jedenfalls günstig für mich, sagte Leddy: Er hatte Zeit. Wir konnten sofort mit dem Torjubel-Training beginnen.
Nach ausgiebigem Studium der verschiedenen Jubeltechniken entschied er, dass für mich die Mick-Channon-Windmühle ideal sei. Channon war ein Stürmer der alten Schule mit den wehenden Haaren und buschigen Koteletten der Siebziger gewesen. Über 20 Jahre hatte er für Southampton und Manchester City Tore als Massenware produziert. Nach jedem Treffer kreiste er mit dem ausgestreckten rechten Arm wie ein vom Sturm erfasster Windmühlenflügel durch die Luft. Im Wohnzimmer jubelte ich schon ganz gut. Jetzt musste ich nur noch ein Tor schießen.
Der Torjubel im Fußball erzählt uns einiges über unsere Zeit. Bis in die sechziger Jahre jubelten die Stürmer mit erhobenen Händen und gewisser Zurückhaltung, beim Fußball durfte der Mann Gefühle zeigen, aber lieber nicht zu viele. In den Siebzigern und Achtzigern faszinierten viele Menschen gerade im Sport die vermeintlich Auserwählten; Ausnahmekönner, die scheinbar von Natur und Schicksal dazu bestimmt waren, über dem Rest zu stehen. Ihnen und nur ihnen gestand man einen personalisierten Torjubel als Exzentrik und Zeichen ihrer Klasse zu. Mick Channon machte die Windmühle, und der fast 40-jährige Roger Milla aus Kamerun tanzte mit der Eckfahne. Seit Mitte der Neunziger wird von einem Torjäger geradezu erwartet, dass er eine persönliche Torjubelchoreographie beherrscht. Miroslav Klose machte den Salto, Raúl zeigte mit beiden Daumen auf seine Rückennummer 7, und Alan Shearer, die personifizierte Bodenständigkeit, hob einfach die rechte Hand zum Gruße. Willkommen im Zeitalter der Events. Alles wird heute ganz schnell zum Event, ein Papstbesuch, die Weltmeisterschaft im Freistilringen, der Tod von Michael Jackson.
Wir Profifußballer waren schon immer sehr anfällig dafür, jeden Trend mitzumachen. Ein weiter Sprung in dieser Entwicklung hin zum Spektakel war Mitte der Neunziger zu erkennen: Als im Profifußball das Schwarz-Weiß-Zeitalter endete und wir Teil des Showbusiness wurden. Schwarz mit weiß waren bis dahin alle Fußballschuhe gewesen. Plötzlich gab es die Stollenschuhe auch in Rot oder Blau. Sie wurden die Schuhe des Spektakels, die leuchtenden Erkennungszeichen der Dribbler und Spielmacher. Wer es wagte, sie zu tragen, musste mit eleganten Fähigkeiten herausragen. Verteidigern oder Mittelfeldhilfsarbeitern standen farbige Schuhe nicht zu. Wir rächten uns mit stiller Verachtung für diese Fußballer im bunten Schuh. Das waren doch Schönwetterfußballer.
Ich weiß noch, wie ich 1999 panisch wurde, als ich feststellte, dass es die besten Modelle meines Ausstatters nicht mehr in Schwarz gab. Ich konnte doch unmöglich gelb oder grün tragen – ich war doch ein Kämpfer, ein Athlet! Im Laufe der Jahre gewöhnte ich mich daran, dass die Schuhe bunt wurden. Aber wann immer mir mein Ausrüster enthusiastisch die neusten orangen oder grellblauen Modelle präsentierte, wählte ich unauffällig doch lieber die weißen Schuhe mit deutlichen schwarzen und roten Elementen, die nicht so weit weg vom traditionellen Schwarz waren.
Dabei ist die Schuhfarben-Hierarchie längst aufgelöst. Heute tragen die Spieler einer Profielf ohne Rücksicht auf ihre Position und ihr technisches Vermögen wild durcheinander gelbe, orangefarbene oder lila-pink gestreifte Schuhe. In einem Jahrzehnt, indem alles zum Event gemacht wird, darf sich jeder Profifußballer als Ereignis inszenieren.
Als Jugendlicher bei Arsenal sah ich mir den Mann fasziniert an, der diese Entwicklung mehr als jeder andere verkörperte. David Beckham war der neue Fußballer, wenn nicht sogar: der neue Mann. Ein Fußballer, ein Mann muss seit Beckham nicht mehr hart sein. Mit seinen sanften Zügen und netten Umgangsformen veränderte er unsere Vorstellungen davon, wie wir die Männer gerne hätten. «Der Popballer», taufte ihn die spanische Zeitung
El País
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Mich
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