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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Volz
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interessierten als Arsenal-Junge allerdings eher seine krummen Flanken als seine neuartige Schönheit. Für mich war Beckham vor allem ein Fußballer, der härter als andere trainierte und deshalb besser als die anderen geworden war. Wenn er mit Manchester United ins Highbury-Stadion kam, sah ich auf der Tribüne gebannt seinem Duell auf dem rechten Flügel mit unserem Außenverteidiger Ashley Cole zu. Beckham tat etwas Unerhörtes: Er benutzte seinen Gegenspieler als Anhaltspunkt für seine Flanken. Er fixierte das linke Knie des Außenverteidigers vor sich und wusste, wenn er den Ball direkt an diesem Knie vorbeizirkelte, würde die Flanke genau auf der richtigen Höhe im Strafraum landen. Selbst Beckhams Frau, die Sängerin Posh Spice, erkannte, wie ungewöhnlich seine Flanken waren: «Ich weiß zwar nicht, wie Abseits funktioniert, aber ich weiß, was David mit den Flanken macht: Er biegt sie irgendwie.» Doch irgendwann ging den Scouts bei Arsenal auf, wie Beckham das Knie seines Gegenspielers missbrauchte. Fortan stellte sich Ashley Cole immer vermeintlich falsch vor Beckham auf. Er positionierte sich einen Meter weiter nach rechts, Richtung Arsenal-Tor versetzt. Für die Zuschauer sah das wahnsinnig aus, er ließ doch den Raum direkt vor Beckham frei. Aber so fand Beckham nicht mehr den richtigen Winkel, um den Ball um Cole herumzuzirkeln.
    In ehrfürchtiger Stille bewunderte ich, wie schnell, wie präzise Beckham flanken konnte, wie taktisch diszipliniert und niemals müde er seine Rolle ausfüllte. Wenn ich mit dem heutigen Wissen zurückblicke, staune ich noch mehr, wie sehr er mit seiner Art des Seins unseren Beruf verändert hat.
    Von außen betrachtet wurde mit Beckham Fußball mehr als nur ein Sport: eine Unterhaltung für jedermann. Seinetwegen schauten Leute Fußball, die sich gar nicht für Fußball interessierten.
    Aber von innen gesehen machte er den Profifußball einfach angenehmer. Fußball ist als Mannschaftssport logischerweise sehr von Gruppenzwängen und Hierarchien geprägt, und im Vor-Beckham-Zeitalter dominierte zu sehr dieses Harte-Männer-Gehabe. Fußballer hatten Dreck an den Schienbeinen, mussten sich beweisen, wer mehr Bier trinken konnte, und regelten Konflikte mit dem Recht des Stärken. Jungen, die in diese Gemeinschaft kamen, mussten sich erst einmal hochdienen, den Älteren die Schuhe putzen, die Tore auf den Trainingsplatz tragen, im Mannschaftsbus stehen, den Mund halten.
    Heute sind die meisten dieser archaischen Drills und groben Umgangsformen verschwunden. Die meisten im Fußball haben erkannt, dass die Mannschaften am erfolgreichsten sind, die statt einer totalitären Hierarchie ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl haben.
     
    Ich durfte mich alle sechs Wochen für eine Stunde wie David Beckham fühlen. Dann kam, in der Tradition der Reichen und Schönen, die Friseurin zu uns nach Hause. Sie hieß Mie, stammte aus Dänemark und rettete mich aus meiner Londoner Friseurhölle.
    Schon als Teenager in Bürbach hatte ich ein Friseurtrauma erlitten. Ich ging nur zweimal im Jahr hin und hatte jedes Mal das Gefühl, dass sie die Haare genau so schnitten, wie ich es nicht hatte haben wollen. Nach meiner Ankunft als 16-Jähriger in Barnet hatte ich den Friseurbesuch so lange rausgezögert, bis er nicht mehr zu vermeiden war. Wie immer in jener Zeit half mir Steve Rowley. Er kenne da ein Ausnahmetalent unter den Friseuren, sagte Steve mit der Überzeugung eines Mannes, der nichts anderes tat, als Begabungen aufzuspüren; wenngleich ich gedacht hatte, sein Aufgabengebiet beschränke sich auf das Fußball-Scouting. Was mich ein wenig skeptisch machte, war die Tatsache, dass Steve selbst zu diesem Haarhexer ging und daraus sein Lob für den Friseur ableitete. Steve hatte doch kaum Haare.
    Aber ich wagte mich in das empfohlene Geschäft, irgendwo musste ich schließlich hingehen. Es stellte sich heraus, dass der Mann gar kein Friseur war. Er nannte sich
Kreativer Direktor
.
    Er schnitt meine Haare wie all die anderen Friseure in Bürbach – so wie ich es auf keinen Fall gewollt hatte – und kassierte dafür das Achtfache wie in Bürbach. 40 Pfund, damals gut 120 D-Mark. Und das war der Sonderpreis, den Steve mir verschafft hatte, wie er mehrmals stolz betonte.
    Ich war empört. Ich wusste damals noch nicht, dass in London, der Hauptstadt des Hypes, die Preise der Friseure nicht von ihrer Qualität bestimmt wurden, sondern vom Titel, den sich der Friseur gab. Kreativer Direktor.

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